Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Zur Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Festlegung der Arbeitszeit von Redakteuren/Mitarbeitern in einem Presseunternehmen/Rundfunksender

Pressemitteilung Nr. 150/1999 vom 29. Dezember 1999

Beschluss vom 15. Dezember 1999
1 BvR 505/95

Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat zwei Verfassungsbeschwerden (Vb) von Presseunternehmen sowie eine Vb eines privaten Rundfunksenders nicht zur Entscheidung angenommen. Die Vb richteten sich gegen gerichtliche Beschlüsse, mit denen die Beschwerdeführerinnen (Bf) verpflichtet wurden, bei der Festlegung der Arbeitszeit von Redakteuren/Mitarbeitern das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu beachten.

I.

Zwei der Bf sind Herausgeber von Tageszeitungen ("Wirtschaftswoche" und "Berliner Kurier"), bei der dritten Bf handelt es sich um den privaten Rundfunksender "Radio ffn".

Alle drei wollten in der Vergangenheit die Arbeitszeit von Redakteuren bzw. weiteren Mitarbeitern ändern, ohne den jeweiligen Betriebsrat zu beteiligen. Anlaß bei der Herausgeberin der "Wirtschaftswoche" war die Neuverteilung der Arbeitszeit der Redakteure aufgrund der tariflichen Arbeitszeitverkürzung auf 38,5 Stunden pro Woche. Die Herausgeberin des "Berliner Kurier" hatte sich für die Einführung eines Nachthandels entschlossen, was die Vorverlegung der Sollandruckzeit und eine Änderung des Spätdienstes erforderlich machte. Der Rundfunksender schließlich veränderte seine Sendezeiten in den Regionalstudios und mußte aus diesem Grund Arbeitszeiten neu regeln.

Es kam wegen der Veränderung der Arbeitszeiten zu arbeitsgerichtlichen Verfahren, in denen die Bf letztlich unterlagen.

Mit ihrer gegen die arbeitsgerichtlichen Beschlüsse gerichteten Vb rügten sie die Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG (Presse- und Rundfunkfreiheit). Sie sind der Auffassung, daß § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ausschließe. Anderenfalls könne dieser auf die Tendenz der Zeitung/des Senders in einer Weise Einfluß nehmen, die mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar sei.

§ 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG lautet:

"Auf Unternehmen und Betriebe, die unmittelbar und überwiegend Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung, auf die Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Anwendung findet, dienen, finden die Vorschriften dieses Gesetzes keine Anwendung, soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem entgegensteht."

II.

Die Vb sind unbegründet.

1. Die Pressefreiheit gewährleistet das Recht, die Tendenz einer Zeitung festzulegen, beizubehalten, zu ändern und diese Tendenz zu verwirklichen. Entsprechendes gilt für die Rundfunkfreiheit. Sie gewährleistet, daß Auswahl, Inhalt und Gestaltung des Programms Sache des Rundfunks bleiben und sich an publizistischen Kriterien ausrichten können. Beide Grundrechte darf der Staat nicht durch rechtliche Regelungen fremden Einflüssen unterwerfen. Demgemäß steht auch dem Betriebsrat unter verfassungsrechtlichen Aspekten ein Einfluß auf die Tendenz der Zeitung oder des Rundfunkveranstalters nicht zu. Ein solcher Einfluß wäre ein "fremder"; seine Begründung würde zu einer Einschränkung der Presse- und Rundfunkfreiheit führen.

§ 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG schließt deshalb die Mitbestimmung aus, soweit durch sie die Presse- oder Rundfunkfreiheit eingeschränkt würde. Die Vorschrift ist mithin keine grundrechtsbegrenzende, sondern eine grundrechtsausgestaltende Regelung, bei deren Auslegung und Anwendung es nicht auf das Gewicht der durch die in Frage stehenden Mitbestimmungsrechte geschützten Belange der Arbeitnehmer ankommt.

2. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen.

Die Gerichte sind davon ausgegangen, daß die jeweiligen Arbeitszeitregelungen die Tendenzverwirklichung der Bf nicht berühren. Dagegen ist verfassungsrechtlich nichts einzuwenden. So sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß beispielsweise das Ende der Arbeitszeit der Frühschichtredakteure oder die geänderte Verteilung der Arbeitszeit der Redakteure unmittelbare Auswirkungen auf die Aktualität und Qualität der Berichterstattung der Presseunternehmen haben könne.

Dasselbe gilt für die Kalkulation von Arbeitszeitvorgaben nach Änderung der Sollandruckzeiten. Nicht die Kalkulation, sondern nur das Ziel der ungehinderten Verwirklichung der Tendenzentscheidung muß mitbestimmungsfrei bleiben.

Schließlich sind die Bf nach den angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen auch nicht daran gehindert, aus Gründen der Aktualität und Qualität der Berichterstattung konkrete Einzelanweisungen zu erteilen sowie vorübergehend generell die betriebsübliche Arbeitszeit der Redakteure zu verändern.