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Zur Veröffentlichung einer Liste von "IM" des MfS

Pressemitteilung Nr. 33/2000 vom 17. März 2000

Beschluss vom 23. Februar 2000
1 BvR 1582/94

In dem Verfassungsbeschwerde(Vb)-Verfahren ging es um das gegen den Verein "Neues Forum" gerichtlich ausgesprochene Verbot, eine Liste mit Namen von Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) des MfS auszulegen. Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat die Vb des Vereins gegen das rechtskräftige Verbot nicht zur Entscheidung angenommen. Zwar haben die Gerichte das Recht des Beschwerdeführers (Bf) auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) nicht hinreichend berücksichtigt; eine grobe Verkennung von Grundrechten nur dies hätte das BVerfG zu korrigieren lässt sich jedoch nicht feststellen. Außerdem ist der Bf von den angegriffenen Entscheidungen auch nicht existenziell betroffen.

I.

1992 kursierte in Halle eine anonyme Liste mit insgesamt 4.500 Namen angeblicher IM des MfS. Die Liste enthielt den Hinweis, dass sie nicht fehlerfrei sein und im Ausnahmefall Namen von Personen enthalten könne, die nie mit dem MfS zusammengearbeitet hätten. Nach verschiedenen Veröffentlichungen in den Medien entschloss sich der Bf, die Liste in seinen Büroräumen auszulegen. Damit sollte die umfassende Durchdringung aller Lebensbereiche der DDR durch das MfS dokumentiert und die politische Diskussion gefördert werden. Insgesamt etwa 700 Personen informierten sich über die Liste.

Eine in dieser Liste aufgeführte Person verlangte vom Bf die Schwärzung ihres Namens. Sie sei nie als IM tätig gewesen. Die Klage gegen den Bf hatte in allen Instanzen Erfolg. In letzter Instanz stellte der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 12. Juli 1994 (Az. VI ZR 1/94; veröffentlicht in JZ 1995, S. 253) u.a. fest: Selbst wenn die Klägerin als IM tätig gewesen sei, habe der Bf mit der Veröffentlichung ihr Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) im Kernbereich verletzt. Das Persönlichkeitsrecht der Klägerin überwiege das Recht des Bf auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG). Gegen die gerichtlichen Entscheidungen erhob der Bf Vb und rügte im Wesentlichen eine Verletzung des Art. 5 Abs. 1 GG.

II.

Die 1. Kammer des Ersten Senats hat zwar die Vb im Ergebnis nicht zur Entscheidung angenommen. Sie hat jedoch darauf hingewiesen, dass die Gerichte dem Veröffentlichungsinteresse des Bf unter Verkennung seiner grundrechtlichen Position zu wenig Bedeutung beigemessen haben.

Zur Begründung heißt es u.a.:

1. Bei der Abwägung zwischen dem Grundrecht des Bf auf Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht der Klägerin haben die Gerichte wichtige grundrechtliche Belange, die für den Bf sprechen, nicht ausreichend berücksichtigt.

Der Bf wollte mit der Auslegung der Liste zum Verständnis der Tätigkeit des MfS beitragen und an der politischen Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit teilnehmen. Dieses Anliegen ist von Art. 5 Abs. 1 GG geschützt. Der Zeitabstand zwischen "IM-Tätigkeit" und Auslegen der Liste schränkt diesen Schutz grundsätzlich nicht ein. Dies gilt zumal dann, wenn Gegenstand der Äußerung die "Aufarbeitung" historischer Vorgänge ist. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, einen Schlussstrich unter eine Diskussion zu ziehen oder eine Debatte für beendet zu erklären.

Vor allem aber haben die Gerichte dem Umstand, dass sich der Bf zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage geäußert hat, nicht ausreichend Rechnung getragen. Das MfS fungierte als Instrument der politischen Kontrolle und Unterdrückung der gesamten Bevölkerung und diente insbesondere dazu, politisch Andersdenkende oder Ausreisewillige zu überwachen, abzuschrecken oder auszuschalten. Die Frage, wie die IM in das MfS eingebunden waren, fand auch noch 1992 ein nachhaltiges öffentliches Interesse, das im Prinzip auch heute noch bestehen dürfte. Denn die systematische und umfassende Ausforschung der eigenen Bevölkerung mit nachrichtendienstlichen Mitteln war ein besonders abstoßendes Herrschaftsinstrument des Einparteiensystems. Überdies vermag die historische Erfahrung mit einer Diktatur und ihren Repressionsinstrumenten eine Anschauung darüber zu vermitteln, welchen Gefahren die Freiheitsrechte der Bürger ausgesetzt sein können, wenn die Sicherungen eines freiheitlichen Rechtsstaats außer Kraft gesetzt sind. Zudem hat der BGH die Suggestivkraft, die mit der Veröffentlichung der Liste verbunden war, nicht hinreichend berücksichtigt: Die Liste vermittelt auf Grund ihrer Länge einen nachhaltigen Eindruck von der massiven Durchdringung der Gesellschaft der DDR durch das MfS, verliert sich wegen der konkreten Angaben, insbesondere der Namensnennungen, aber nicht in der Abstraktheit bloßer Zahlen.

Auf der anderen Seite wurde im Vergleich die Schwere der Beeinträchtigung der Klägerin überbewertet. Die Veröffentlichung der Liste entfaltete keine besondere Breitenwirkung. Lediglich eine vergleichsweise geringe Zahl von Personen nahm von der Liste Kenntnis. Die Kammer führt aus, dass auch von einer ausgrenzenden Stigmatisierung durch die Auslegung der Liste nicht ohne weiteres auszugehen ist.

2. Trotz der aufgezeigten verfassungsrechtlichen Defizite ist eine Annahme der Vb nicht angezeigt. Die Gerichte haben die grundrechtliche Spannungslage des Falls im Ansatz zutreffend gesehen und eine Abwägung vorgenommen. Eine grobe Verkennung der Grundrechte lässt sich nicht feststellen.

Der Bf ist von den Entscheidungen auch nicht existenziell betroffen. Ihm ist die Auslegung der Liste für die Zukunft untersagt worden. Der Bf hat bereits früher zum Ausdruck gebracht, an der Auslegung der Liste künftig kein Interesse mehr zu haben.

Beschluss vom 23. Februar 2000, Az. 1 BvR 1582/94 -

Karlsruhe, den 17. März 2000