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Zum Architektengesetz des Landes Baden-Württemberg

Pressemitteilung Nr. 57/2000 vom 27. April 2000

Beschluss vom 17. April 2000
1 BvR 1538/98

Der Beschwerdeführer (Bf) - ein Diplomingenieur - wollte auf der Grundlage des im Juli 1994 geänderten Architektengesetzes des Landes Baden-Württemberg (ArchÄndG; der Wortlaut ist in der Anlage auszugsweise beigefügt) seine Eintragung in die Liste des neuen Berufsbildes "Stadtplaner" erreichen. Dieser Antrag wurde von der Verwaltungsbehörde u.a. mit der Begründung abgelehnt, dass die Jahresfrist - ab Inkrafttreten des Änderungsgesetzes - nicht eingehalten sei. Eine Klage zu den Verwaltungsgerichten blieb erfolglos.

Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde (Vb) des Bf hat die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG im Hinblick auf die Fristversäumnis im Ergebnis nicht zur Entscheidung angenommen. Da die Gerichte ihre Klageabweisung aber auf andere, nach Auffassung der Kammer VERfassungsrechtlich bedenkliche Gesichtspunkte gestützt haben, hat die Kammer insoweit folgende klarstellenden Ausführungen zu einer verfassungskonformen Auslegung des Änderungsgesetzes gemacht:

1. Durch die Neuregelung des Gesetzes erhalten Architekten eine deutliche Vorrangstellung: Das Gesetz ist auf das Architekturstudium zugeschnitten (§ 4 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz ArchG), lässt einen Ausschuss der Architektenkammer über die Eintragung als Stadtplaner entscheiden und ordnet den Berufsstand insgesamt der Architektenkammer zu.

Bei der im Bundesbaugesetzbuch definierten Aufgabenstellung für Stadtplaner geht es jedoch um die Bauleitplanung, also das Aufstellen von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen. Dabei kommt es in erster Linie auf Art und Maß der baulichen Nutzung an, also auf Umweltaspekte, soziale Planvorstellungen, Infrastruktur und Erschließung im weitesten Sinne sowie auf die vorhandene Eigentumslage und die rechtlichen Chancen für eine Realisierung der Planung. Wirtschaftswissenschaftler, Soziologen, Tiefbauingenieure, Geographen oder auch Juristen können zur Stadtplanung also insgesamt nicht weniger beitragen als Architekten. Diesen Bedenken kann dadurch Rechnung getragen werden, dass § 4 Abs. 2 ArchG verfassungskonform dahin ausgelegt wird, dass "ein anderes dem Studium der Stadtplanung gleichwertiges Studium" möglichst vielfältige andere Grundstudiengänge umfasst, die zur Stadtplanung qualifizieren können.

2. Verfassungsrechtlich problematisch erscheint im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch die Regelung in Bezug auf die Zusammensetzung des Eintragungsausschusses (§ 16 Abs. 2 ArchG). Es ist nicht ersichtlich, weshalb vor allem Architekten über die Qualifikation eines Stadtplaners entscheiden können. Die für die Stadtplanung gleichwertigen Studiengänge sollten im selben Maße vertreten sein wie sonst Beisitzer, die aus derselben Fachrichtung kommen.

3. Verfassungsrechtlich bedenklich ist schließlich auch, dass nur derjenige in den Genuss der Übergangsregelung des Art. 3 ArchÄndG kommt, wer nachweisbar seine bisherige stadtplanerische Tätigkeit unter der Berufsbezeichnung "Stadtplaner" oder "Stadtplanerin" ausgeübt hat. Stellt der Gesetzgeber ein solches Kriterium für die Berufsbefähigung auf, muss dieses durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sein. Solche sind nicht ersichtlich.

Es spricht nichts dafür, dass die bisherigen Anbieter städtebaulicher und stadtplanerischer Leistungen sich in ihrer Qualität danach unterscheiden, unter welcher Berufsbezeichnung sie bisher gearbeitet haben. Berücksichtigt man, dass diejenigen, die künftig die Berufsbezeichnung "Stadtplaner" führen, einen erheblichen Wettbewerbsvorteil erhalten, dürfen diejenigen, die bisher stadtplanerische Leistungen tatsächlich erbracht, die Bezeichnung aber nicht verwandt haben, nicht darauf verwiesen werden, dieses Verhalten einfach fortzusetzen. Die Begriffswahl ist kein Indikator für eine vorhandene oder nicht vorhandene Qualifikation, die allein für das Gemeinwohl von Bedeutung ist. Die Übergangsregelung bedarf daher der verfassungskonformen Auslegung. In den Genuss dieser Regelung muss auch kommen, wer tatsächlich den Beruf des Stadtplaners bisher ausgeübt, die Tätigkeitsbezeichnung allerdings nicht gewählt hatte.

Karlsruhe, den 27. April 2000

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 57/2000 vom 27. April 2000

§ 1 Berufsaufgaben der Architekten und Stadtplaner

(1) Berufsaufgabe des Architekten ist die gestaltende, technische und wirtschaftliche Planung von Bauwerken.

(2) Berufsaufgabe des Innenarchitekten ist die gestaltende, technische und wirtschaftliche Planung von Innenräumen.

(3) Berufsaufgabe des Garten- und Landschaftsarchitekten ist die gestaltende, technische, wirtschaftliche und ökologische Garten- und Landschaftsplanung.

(4) Berufsaufgabe des Stadtplaners ist die gestaltende, technische, wirtschaftliche, ökologische und soziale Orts- und Stadtplanung, insbesondere die Ausarbeitung städtebaulicher Pläne.

(5) Zu den Berufsaufgaben des Architekten nach den Absätzen 1 bis 3 und des Stadtplaners gehören auch die koordinierende Lenkung und Überwachung der Planung und Ausführung, die Beratung, Betreuung und Vertretung des Auftraggebers in allen mit der Planung und Durchführung eines Vorhabens zusammenhängenden Fragen. Hierzu gehören ferner die Rationalisierung von Planung und Plandurchführung sowie die Erstattung von Fachgutachten.

(6) Zu den Berufsaufgaben des Architekten nach den Absätzen 1 und 3 können auch die Ausarbeitung städtebaulicher Pläne, die städtebauliche Beratung, die Erstattung von städtebaulichen Gutachten sowie die Mitwirkung an der Ausarbeitung von Entwicklungs- und Regionalplänen gehören. Zu den Berufsaufgaben des Stadtplaners gehört auch die Mitwirkung an der Ausarbeitung von Entwicklungs- und Regionalplänen.

§ 2 ArchG bestimmt:

Berufsbezeichnung

(1) Die Berufsbezeichnung "Architekt" oder "Architektin" ..., "Stadtplaner" oder "Stadt-planerin" darf nur führen, wer unter der entsprechenden Bezeichnung in die Architektenliste eingetragen ... ist.

(2 Die Bezeichnung "Architekturbüro", "Stadtplanungsbüro" oder ähnliche Wortbildungen dürfen für ihr Büro nur Personen verwenden, die zur Führung der entsprechenden Berufsbezeichnung nach Absatz 1 befugt sind. ...

(3) ...

Zur Berufsbefähigung regelt § 4 Abs. 2 ArchG:

Die Berufsbefähigung besitzt, wer

1. eine Ausbildung für die Berufsaufgaben seiner Fachrichtung nach § 1 an einer deutschen Universität, Kunsthochschule, Fachhochschule oder gleichwertigen Lehreinrichtungen mit Erfolg abgeschlossen hat und

2. nach der Ausbildung eine praktische Tätigkeit im Aufgabenbereich seiner Fachrichtung nach § 1 von mindestens zwei Jahren unter Anleitung bei einem Architekten dieser Fachrichtung oder bei einem Stadtplaner oder eine gleichwertige Tätigkeit nachweist.

Die Ausbildung zum Architekten, Innenarchitekten oder Garten- und Landschaftsarchitekten muss ein technisches Grundstudium in Architektur enthalten; die Ausbildung zum Stadtplaner setzt ein eigenständiges Studium der Stadtplanung, ein Architekturstudium mit Schwerpunkt Städtebau oder ein anderes dem Studium der Stadtplanung gleichwertiges Studium mit Schwerpunkt Städtebau voraus, das städtebauliches und stadträumliches Entwerfen, städtebaubezogene Gebäudelehre und Stadtbaugeschichte einschließt.

Art. 3 ArchÄndG bestimmt als Übergangsregelung:

Wer bei Inkrafttreten dieses Gesetzes eine praktische Tätigkeit von mindestens drei Jahren im Aufgabenbereich nach § 1 Abs. 4 des Architektengesetzes unter der Berufsbezeichnung "Stadtplaner" oder "Stadtplanerin" nachweist, besitzt die Berufsbefähigung für diese Fachrichtung, auch wenn die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 des Architektengesetzes nicht erfüllt sind. Die bisher geführte Berufsbezeichnung darf bis zur unanfechtbaren Entscheidung über die Eintragung in die Architektenliste weitergeführt werden, wenn die Eintragung innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten dieses Gesetzes beantragt wird. Unter den Voraussetzungen des Satzes 1 darf die bisher geführte Berufsbezeichnung von Stadtplanern, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes Pflichtmitglieder der Ingenieurkammer Baden-Württemberg sind, auch weitergeführt werden, wenn sie innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten dieses Gesetzes beim Eintragungsausschuss der Architektenkammer die Eintragung in ein besonderes Verzeichnis beantragen.

...Über die Eintragung in das besondere Verzeichnis ist eine Bescheinigung auszustellen, aus der sich das Recht zum Führen der Berufsbezeichnung ergibt.