Bundesverfassungsgericht

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Zu den Anforderungen an die Feststellung eines Gewerbebetriebs

Pressemitteilung Nr. 59/2000 vom 4. Mai 2000

Beschluss vom 31. März 2000
1 BvR 608/99

Auf die Verfassungsbeschwerde (Vb) eines Elektroeinzelhändlers hat die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG die Verurteilung des Beschwerdeführers (Bf) zu einer Geldbuße in Höhe von 3.000 DM wegen Verstoßes gegen die Handwerksordnung (HwO) aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Die Gerichte haben bei der Feststellung, der Bf habe unzulässiger Weise ein selbständiges Gewerbe betrieben, das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) nicht ausreichend berücksichtigt.

I.

Der Bf betreibt ein Elektroeinzelhandelsgeschäft, das an fünf Tagen in der Woche je drei Stunden geöffnet ist. Er liefert die verkauften Waren auch aus und schließt sie an. Außerdem führt er Reparaturen und Elektroinstallationen durch.

Das Amtsgericht verurteilte ihn wegen unzulässigen selbständigen Betreibens des Elektroinstallateur- sowie des Radio- und Fernsehtechnikerhandwerks als stehendes Gewerbe nach der HwO. Das Rechtsmittel des Bf zum Bayerischen Obersten Landesgericht blieb erfolglos.

Mit seiner Vb rügte der Bf u.a. die Verletzung der Berufsfreiheit und beanstandete insbesondere Auslegung und Anwendung von § 3 HwO (Wortlaut s. Anlage).

II.

Die angegriffenen Entscheidungen werden dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht.

Zwar genügen die einschlägigen Regelungen der HwO insoweit diesem Grundrecht, als ab einem bestimmten Umfang handwerklicher Arbeit die Gefahr besteht, dass in einem als Einzelhandelsgeschäft bezeichneten Betrieb tatsächlich nicht Handel betrieben, sondern ein Handwerk ausgeübt wird. Um den tatsächlichen Gegebenheiten des Wirtschaftslebens Rechnung zu tragen und fließende Übergänge zwischen beiden Bereichen zu schaffen, hat jedoch der Gesetzgeber in mehrfacher Hinsicht Schwellen normiert, wobei unterhalb der jeweiligen Schwelle der Erwerb eines Meisterbriefes zur selbständigen Berufsausübung nicht erforderlich ist.

Dem haben die Gerichte nicht hinreichend Rechnung getragen. Sie haben nicht im Einzelnen ermittelt, ob es sich bei der Tätigkeit des Bf tatsächlich um eine im Kernbereich handwerkliche handelt oder um eine solche, die als Minderhandwerk nicht der HwO unterfällt (s. § 3 Abs. 3 HwO). Dies liegt insbesondere bei der Installation von Satellitenempfangsanlagen oder beim Anbringen verkaufter Beleuchtungskörper nahe.

Weiterhin hätten die Gerichte bei den Tätigkeiten des Bf nach den Kernbereichen "Elektroinstallateurhandwerk" und "Radio- und Fernsehtechnikerhandwerk" unterscheiden müssen. Dies kann vor allem eine Rolle für die Beurteilung spielen, ob die so genannte Unerheblichkeitsgrenze nach § 3 Abs. 1 und 2 HwO überschritten ist.

Zu beanstanden ist außerdem, dass die Gerichte bei der Umsatzfeststellung nicht unterschieden haben, welche Umsätze auf handwerklicher Tätigkeit beruhen und welche dem Handel zuzurechnen sind.

Hätten die Gerichte die HwO, die empfindliche Eingriffe in die Freiheit selbständiger Berufsausübung enthält, grundrechtsfreundlich ausgelegt, hätten sie den Ausnahmevorschriften in § 3 HwO das ihnen von Verfassung wegen zukommende Gewicht beigemessen und die Verhängung einer Geldbuße davon abhängig gemacht, dass zuvor alle zugunsten des Bf streitenden Umstände aufgeklärt und berücksichtigt sind. Dies muss das Amtsgericht bei seiner erneuten Entscheidung nachholen.

Karlsruhe, den 4. Mai 2000

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 59/2000 vom 4. Mai 2000

§ 3 HwO

(1) Ein handwerklicher Nebenbetrieb im Sinne des § 2 Nr. 2 und 3 liegt vor, wenn in ihm Waren zum Absatz an Dritte handwerksmäßig hergestellt oder Leistungen für Dritte handwerksmäßig bewirkt werden, es sei denn, daß eine solche Tätigkeit nur in unerheblichem Umfang ausgeübt wird, oder daß es sich um einen Hilfsbetrieb handelt.

(2) Eine Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 ist unerheblich, wenn sie während eines Jahres den durchschnittlichen Umsatz und die durchschnittliche Arbeitszeit eines ohne Hilfskräfte arbeitenden Betriebs des betreffenden Handwerkszweigs nicht übersteigt. (3) Hilfsbetriebe im Sinne des Absatzes 1 sind unselbständige, der wirtschaftlichen Zweckbestimmung des Hauptbetriebs dienende Handwerksbetriebe, wenn sie

1. Arbeiten für den Hauptbetrieb oder für andere dem Inhaber des Hauptbetriebs ganz oder überwiegend gehörende Betriebe ausführen oder

2. Leistungen an Dritte bewirken, die a) als handwerkliche Arbeiten untergeordneter Art zur gebrauchsfertigen Überlassung üblich sind oder b) in unentgeltlichen Pflege-, Instandhaltungs- oder Instandsetzungsarbeiten bestehen oder c) in entgeltlichen Pflege-, Instandhaltungs- oder Instandsetzungsarbeiten an solchen Gegenständen bestehen, die in dem Hauptbetrieb selbst erzeugt worden sind, sofern die Übernahme dieser Arbeiten bei der Lieferung vereinbart worden ist, oder d) auf einer vertraglichen oder gesetzlichen Gewährleistungspflicht beruhen.