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Zum Berufsrecht der Notare

Pressemitteilung Nr. 115/2000 vom 31. August 2000

Beschluss vom 09. August 2000, Beschluss vom 15. August 2000
1 BvR 647/98
1 BvR 1523/99

Die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat festgestellt, dass es Notaren nicht grundsätzlich verboten ist, Beurkundungen außerhalb ihrer Amtsräume vorzunehmen.

1. Der Beschwerdeführer (Bf) ist Anwaltsnotar in Niedersachsen. Ihm war vom Präsidenten des Oberlandesgericht (OLG) Celle ein Bußgeld in Höhe von 10.000 DM auferlegt worden, weil er von 1991 bis 1994 49 Beurkundungen außerhalb seiner Geschäftsräume, allerdings innerhalb seines Amtsbereichs vorgenommen hatte. Seine Rechtsmittel blieben erfolglos. Das OLG Celle hat seine Entscheidung mit einer Zusammenschau der §§ 1, 10 und 14 Abs. 1 Satz 2 Bundesnotarordnung (BNotO) in der seinerzeit geltenden Fassung begründet. Aus dieser ergebe sich, dass der Notar grundsätzlich keine Beurkundungen außerhalb seiner Geschäftsstelle vornehmen dürfe. Dieses Verbot sei mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.

2. Auf die Verfassungsbeschwerde (Vb) des Bf hat die Kammer diese OLG-Entscheidung aufgehoben, weil sie - wie auch die vorangegangenen Entscheidungen des Niedersächsischen Ministeriums der Justiz und für Europaangelegenheiten und des Präsidenten des OLG - den Bf in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzen.

In den §§ 10, 10 a und 11 Bundesnotarordnung, die den örtlichen Aspekt der Berufsausübung durch den Notar regeln, ist ein ausdrückliches Verbot der Beurkundung außerhalb der Geschäftsstelle nicht enthalten.

Auch sonst ist eine hinreichende gesetzliche Grundlage für ein derartiges Verbot nicht ersichtlich. Insbesondere kann ein solches nicht aus dem Regelungszusammenhang entnommen werden. Das BVerfG hat seit den Entscheidungen zu den anwaltlichen Standesrichtlinien 1987 zunehmend eingefordert, dass empfindliche Einschränkungen der Berufsfreiheit ausdrücklich durch den Gesetzgeber geregelt werden. Da es dem Gesetzgeber obliegt, die Gefährdung von Rechtsgütern einzuschätzen, ihre Schutzwürdigkeit zu bewerten und die Mittel zu ihrem Schutz zu bestimmen, legt Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG dem Richter besondere Zurückhaltung auf, wenn dieser vornehmlich aus bloßen gesetzlichen Zielsetzungen die Wahl des geeigneten und erforderlichen Mittels abzuleiten sucht. Dabei können Veränderungen der sozialen Verhältnisse, gewandelte gesellschaftspolitische Anschauung und neue rechtliche Rahmenbedingungen einer bisherigen Gesetzesinterpretation die Grundlage entziehen. Dies hat der Senat in seiner Entscheidung zu den Sozietäten zwischen Anwaltsnotaren und Wirtschaftsprüfern 1998 ausdrücklich bekräftigt.

Danach konnte das OLG die genannten Vorschriften nicht als Grundlage für ein Verbot der Auswärtsbeurkundung innerhalb des Amtsbereichs heranziehen. Die Gestaltungsspielräume in diesen Normen dürfen durch Richterrecht nicht grundrechtsbeschränkend ausgefüllt werden.

So weist die Kammer daraufhin, dass durch die Einführung des § 10 a BNotO im Jahre 1991 erstmals die Urkundstätigkeit des Notars auf seinen Amtsbereich eingeschränkt worden ist. Eine weitergehende Einschränkung auf die eigene Geschäftsstelle ist gerade nicht getroffen worden.

Eine solche lässt sich auch nicht aus den mit der BNotO verfolgten Gemeinwohlbelangen rechtfertigen, da sie weder geeignet noch erforderlich hierfür ist. Die modernen Verkehrs- und Kommunikationsmittel lassen die Verfügbarkeit des Notars auch bei gelegentlicher Wahrnehmung von Auswärtsterminen zu. Aus diesem Grund ist der Notar auch nicht mehr verpflichtet, an seinem Amtssitz seine Wohnung zu nehmen. Ebenso ist nicht ersichtlich, dass die gelegentliche Wahrnehmung von Außenterminen generell die Unabhängigkeit des Notars bedroht. Schließlich kann die Verhinderung von Wettbewerb unter den Notaren eines Amtsbereichs ebenfalls nicht als legitimer Gemeinwohlbelang angesehen werden. Tatsächlich stehen Notare innerhalb ihres Amtsbereichs im Hinblick auf ihre beruflichen Leistungen im Wettbewerb. Dieser erstreckt sich nicht nur auf die Qualität der Beratung selbst, sondern im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben auch auf die Art und Weise der Dienstleistung. Hierzu kann auch eine gewisse Flexibilität des Notars gehören, soweit sie den Anschein von Abhängigkeit oder Parteilichkeit vermeidet, den Schutzzweck des Beurkundungserfordernisses nicht gefährdet und er jede amtswidrige Werbung unterlässt. Verstöße können insoweit individuell geahndet werden.

Beschluss vom 9. August 2000 - Az. 1 BvR 647/98 -

Mit Beschluss vom 15. August 2000 hat die Kammer eine Vb eines weiteren Anwaltsnotars nicht zur Entscheidung angenommen. Dieser hat sich mit seiner Vb unmittelbar gegen die 1998 eingeführten Mitwirkungsverbote des § 3 Abs. 1 Ziffer 7 und 8 Beurkundungsgesetz und die Absicherung der Mitwirkungsverbote durch das Beurkundungsgesetz und die BNotO gewandt. Diese Vorschriften stellten - vor allem in Sozietäten - unzumutbar hohe Anforderungen an die Dokumentation anwaltlicher Kontakte und verletzten ihn deshalb in seiner Berufsfreiheit.

Die Kammer hat insoweit ausgeführt, dass der Zulässigkeit der Vb der Grundsatz der Subsidiarität entgegen steht. Der Bf könne und müsse eine verbindliche Auskunft in Gestalt einer Weisung von der Aufsichtsbehörde darüber einholen, welche organisatorischen Maßnahmen zur Einhaltung der Mitwirkungsverbote bei ihm erforderlich seien. Halte er sich durch diese Maßnahmen für unzumutbar belastet, stehe ihm hiergegen der Rechtsweg offen.

Beschluss vom 15. August 2000 - Az. 1 BvR 1523/99 -

Karlsruhe, den 31. August 2000