Bundesverfassungsgericht

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Zu Handwerksleistungen im Reisegewerbe

Pressemitteilung Nr. 131/2000 vom 12. Oktober 2000

Beschluss vom 27. September 2000
1 BvR 2176/98

Auf die Verfassungsbeschwerde (Vb) eines Steinmetzen hat die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG die Verurteilung des Beschwerdeführers (Bf) zu einer Geldbuße in Höhe von 5.000 DM wegen mehrerer Verstöße gegen das Schwarzarbeitsgesetz aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen.

1. Der Bf, damals noch Steinmetzgeselle, besaß eine Reisegewerbekarte nach § 55 der Gewerbeordnung (Anlage) für das Aufsuchen von Bestellungen und Anbieten von Steinarbeiten und Arbeiten am Bau, die damit im Zusammenhang stehen.

Im Dezember 1997 verurteilte ihn das Amtsgericht Kassel zu einer Geldbuße wegen Verstoßes gegen das Schwarzarbeitsgesetz. Ihm wurde zur Last gelegt, dass er zwar um Aufträge nachgesucht, mit der Ausführung der Arbeiten aber erst zu einem später vereinbarten Zeitpunkt begonnen habe. Das Anbieten einer Leistung im Reisegewerbe setze aber die Bereitschaft und Fähigkeit zur sofortigen Ausführung eines Auftrages voraus. Der Bf habe Tätigkeiten, die dem Vollhandwerk unterfielen, ausgeübt und das Handwerk als stehendes Gewerbe und nicht als Reisegewerbe betrieben.

Die Rechtsbeschwerde vor dem Oberlandesgericht Frankfurt blieb erfolglos.

2. Die 2. Kammer des Ersten Senats hat festgestellt, dass die Auslegung der verfassungskonformen Vorschriften über die Ausübung eines Handwerks im Reisegewerbe das Grundrecht der Berufsfreiheit des Bf verletzt. Die Grenzen des Reisegewerbes dürfen im Lichte des Grundrechts der Berufsfreiheit nicht so eng gezogen werden, wie sie sich als Ergebnis von Auslegung und Anwendung in den angegriffenen Entscheidungen darstellen.

Zum einen haben die Gerichte in tatsächlicher Hinsicht nicht hinreichend ermittelt, welche vom Bf vorgenommenen Tätigkeiten dem Kernbereich des Steinmetzhandwerks und damit dem Vollhandwerk unterfallen. Nach der verfassungskonformen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts übt ein Restaurator von Steinwerken nicht das Steinmetzhandwerk aus, da der Kernbereich dieses Handwerks in der formenden und gestaltenden Tätigkeit liegt. Diese Rechtsprechung hat das Amtsgericht nicht beachtet und deshalb nicht aufgeklärt, ob die vom Bf vorgenommenen Sanierungs- und Reparaturarbeiten als Restauration dem Minderhandwerk unterfallen.

Zudem ist es mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar, auch beim "Aufsuchen von Bestellungen auf Leistungen" die Bereitschaft zur sofortigen Leistungserbringung zu fordern. Dieser Tatbestand setzt geradezu voraus, dass die Erfüllung erst in einem gewissen zeitlichen Abstand erfolgt. Gemeinwohlbelange, die es gebieten, bei dieser Variante die eigentliche Leistung dem stehenden Gewerbe vorzubehalten, sind nicht ersichtlich. Eine Irreführung der Kundschaft ist insoweit nicht zu befürchten; denn eine Reisegewerbekarte hat nur derjenige beim Aufsuchen der Bestellung vorzuweisen, der kein stehendes Gewerbe angemeldet hat. Dem Besteller ist hierdurch ohne weiteres bewusst, dass der Handwerker keinen Meisterbetrieb führt. Die eigentliche Tätigkeit ändert sich auch nicht dadurch, dass die Leistung erst nach einem gewissen zeitlichen Aufschub erbracht wird.

Der entscheidende Unterschied zwischen dem Reisegewerbe und dem stehenden Handwerk liegt darin, dass bei letzterem der Kunde um Angebote nachsucht, bei ersterem die Initiative zur Erbringung der Leistung vom Anbietenden ausgeht. Daneben wird im stehenden Betrieb neben der persönlichen auch die fachliche Zuverlässigkeit des Inhabers durch den Meisterbrief garantiert; im Reisegewerbe wird lediglich die persönliche Zuverlässigkeit überwacht.

Die Gerichte können diese vom Gesetzgeber für ausreichend gehaltenen Unterscheidungsmerkmale nicht durch erweiternde Auslegung korrigieren.

Karlsruhe, den 12. Oktober 2000

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 131/2000 vom 12. Oktober 2000

§ 55 GewO

§ 55 Reisegewerbekarte.

(1) Ein Reisegewerbe betreibt, wer gewerbsmäßig ohne vorhergehende Bestellung außerhalb seiner gewerblichen Niederlassung (§ 42 Abs. 2) oder ohne eine solche zu haben

1. selbständig oder unselbständig in eigener Person Waren feilbietet oder Bestellungen aufsucht (vertreibt) oder ankauft, Leistungen anbietet oder Bestellungen auf Leistungen aufsucht oder

2. selbständig unterhaltende Tätigkeiten als Schausteller oder nach Schaustellerart ausübt.

(2) ...

(3) ...