Bundesverfassungsgericht

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Verhandlungen des Zweiten Senats am 20. November 2001

Pressemitteilung Nr. 101/2001 vom 29. Oktober 2001

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am Dienstag, den 20. November 2001 im Rahmen des jährlichen "Tages der offenen Tür" zwei Verfahren. Bürgerinnen und Bürger haben so einmal mehr Gelegenheit, selbst einen Eindruck von der Arbeitsweise des Bundesverfassungsgerichts und der Art der von diesem Gericht zu entscheidenden Fragen zu gewinnen.

Im Einzelnen geht es um Folgendes:

1. 10 Uhr: Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten - 2 BvE 2/00 -

Der Bundestagsabgeordnete Pofalla beantragt die Feststellung, dass der Deutsche Bundestag und der Bundestagspräsident gegen das Grundgesetz verstoßen haben, indem sie eine Durchsuchung seiner Wohn- und Geschäftsräume genehmigt haben.

Wegen dieses Vorfalls hatte bereits die CDU/CSU-Fraktion das Bundesverfassungsgericht angerufen; deren Antrag hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 24. Januar 2001 als unzulässig zurückgewiesen. In der Pressemitteilung 22/2001 vom 13. Februar 2001 ist dieser Beschluss des Bundesverfassungsgerichts dargestellt; dort findet sich auch eine detaillierte Darstellung der Vorgeschichte.

Nunmehr geht es um den Antrag des betroffenen Abgeordneten selbst. Er ist der Auffassung, der Beschluss über die Aufhebung seiner Immunität und die Genehmigung der Durchsuchungen haben ihn in seinem Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 46 Abs. 2 GG verletzt. Der vom Bundestag in der ersten Sitzung der Legislaturperiode getroffene Beschluss, dass die Durchführung von Ermittlungsverfahren gegen Abgeordnete mit gewissen Ausnahmen generell genehmigt werde, sei verfassungswidrig. Geboten sei eine Einzelfallprüfung. Zumindest sei das Parlament bzw. sein Präsident verpflichtet gewesen, vor der Genehmigung der richterlich angeordneten Durchsuchungen zu prüfen, ob der Vorwurf der Staatsanwaltschaft plausibel und eine Durchsuchung verhältnismäßig ist. Bei geringsten Zweifeln - etwa dem Verdacht des politischen Missbrauchs - müsse die Genehmigung verweigert oder das Verfahren gemäß Art. 46 Abs. 4 GG ausgesetzt werden. Hierzu habe in seinem Fall schon wegen der drei Tage später stattfindenden Landtagswahl Veranlassung bestanden. Der Verdacht der Steuerhinterziehung sei von Anfang an nicht plausibel gewesen. Auch habe es einer Durchsuchung nicht bedurft, da er bereit gewesen sei, alle benötigten Unterlagen auszuhändigen.

2. 14 Uhr: Verfassungsmäßigkeit der Vermögensstrafe gemäß § 43 a StGB - 2 BvR 794/95 -

Der Beschwerdeführer (Bf) in diesem Verfahren war wegen Rauschgifthandels zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und einer Vermögensstrafe von 600.000 DM verurteilt worden. Für den Fall, dass die Vermögensstrafe nicht gezahlt wird und nicht vollstreckt werden könne, wurde eine Ersatzfreiheitsstrafe von 1 1/2 Jahren festgesetzt. Das Landgericht ging in seinem Urteil davon aus, dass der Bf der wirtschaftliche Eigentümer eines Hausgrundstückes sei und ein Vermögen von 700.000,- DM besitze.

Grundlage dieser Verurteilung ist unter anderem § 43 a StGB (im Anhang abgedruckt), der durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität vom 15. Juli 1992 als Maßnahme zur Abschöpfung von Verbrechensgewinnen in das Strafgesetzbuch eingefügt wurde.

Der Bf hält diese Norm für verfassungswidrig. Sie verstößt seiner Auffassung nach vor allem gegen das Schuldprinzip, weil die Höhe der Vermögensstrafe nicht von der Schuld des Täters, sondern von der Höhe seines Vermögens abhänge. Da im Gesetz nicht festgesetzt sei, nach welchem Maßstab eine nicht gezahlte Vermögensstrafe in Ersatzfreiheitsstrafe "umzurechnen" sei, könne auch auf diesem Weg die Schuldangemessenheit nicht überprüft werden. Damit sei der richterlichen Willkür bei der Verhängung dieser Strafe Tür und Tor geöffnet. Sei ein Täter zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und werde daneben eine Vermögensstrafe festgesetzt, zeige sich sogar eine Bestrafung über die Schuld hinaus. Zudem verstoße die Vorschrift gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 GG, denn die Vermögensstrafe drohe nur vermögenden Tätern; andererseits könnten nur diese sich so von einer (noch) höheren Freiheitsstrafe freikaufen.

Der Bundesgerichtshof, der die Revision des Bf verworfen und die durch das Landgericht verhängte Vermögensstrafe bestätigt hat, hält § 43 a StGB bei verfassungskonformer Auslegung für unbedenklich. Die Vorschrift könne bei strenger Orientierung am Schuldgrundsatz und unter Beachtung der allgemeinen Strafzumessungsgrundsätze so ausgelegt und angewendet werden, dass sie mit der Verfassung in Einklang stehe. Freiheitsstrafe und Vermögensstrafe seien so zu bemessen, dass sie in ihrem Zusammenwirken das Maß der Schuld des Täters nicht überschreiten. Daher sei bei Verhängung einer Vermögensstrafe die Freiheitsstrafe herab zu setzen.

Interessierte Bürgerinnen und Bürger, die an den Verhandlungen teilnehmen möchten, werden gebeten, sich schriftlich für vormittags oder nachmittags anzumelden (Postfach 1771, 76006 Karlsruhe, z. Hd.: Herrn Kambeitz; Fax: 0721/9101-461). Bei der Anmeldung sind Name, Vorname, Geburtsdatum und eine Telefon - oder Faxnummer für Rückfragen anzugeben.

Karlsruhe, den 29. Oktober 2001

Anhang zu Pressemitteilung Nr. 101/2001 vom 29. Oktober 2001

§ 43 a StGB hat folgenden Wortlaut:

Verhängung der Vermögensstrafe

(1) Verweist das Gesetz auf diese Vorschrift, so kann das Gericht neben einer lebenslangen oder einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren auf Zahlung eines Geldbetrages erkennen, dessen Höhe durch den Wert des Vermögens des Täters begrenzt ist (Vermögensstrafe). Vermögensvorteile, deren Verfall angeordnet wird, bleiben bei der Bewertung des Vermögens außer Ansatz. Der Wert des Vermögens kann geschätzt werden.

(2) § 42 gilt entsprechend.

(3) Das Gericht bestimmt eine Freiheitsstrafe, die im Fall der Un- einbringlichkeit an die Stelle der Vermögensstrafe tritt (Ersatzfrei- heitstrafe). Das Höchstmaß der Ersatzfreiheitsstrafe ist zwei Jahre, ihr Mindestmaß ein Monat.