Bundesverfassungsgericht

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Zur Dienstbeschädigungsteilrente

Pressemitteilung Nr. 15/2002 vom 14. Februar 2002

Beschluss vom 21. November 2001
1 BvL 19/93

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluss vom 21. November 2001 Regelungen aus dem Rentenrecht für ehemalige DDR-Bürger für verfassungswidrig erklärt.

Gegenstand der zugrundeliegenden Verfassungsbeschwerden und eines Vorlagebeschlusses war die Anrechnung bzw. Einstellung so genannter Dienstbeschädigungsteilrenten.

1. Hintergrund und Rechtslage

In der DDR bestand die Altersversorgung aus einer einheitlichen Sozialversicherung und einer im März 1971 eingeführten ergänzenden freiwilligen Zusatzrentenversicherung. Daneben existierten zahlreiche Zusatzversorgungssysteme. Ein Teil der Staatsbediensteten gehörte Sonderversorgungssystemen an; sie waren dadurch außerhalb der Rentenversicherung in einer der Beamtenversorgung der Bundesrepublik Deutschland vergleichbaren Weise abgesichert. Die Sonderversorgungssysteme bestanden für Angehörige der Nationalen Volksarmee, der Deutschen Volkspolizei, der Feuerwehr, des Strafvollzugs, der Zollverwaltung und des Ministeriums für Staatsicherheit (MfS).

Erlitten Angehörige dieser Versorgungssysteme einen Körper- oder Gesundheitsschaden von mindestens 20% in Folge einer Dienstbeschädigung, wurde ihnen nach dem Ausscheiden aus dem Dienst eine entsprechende Teilrente gewährt. Anspruch auf Unfallrente aus der Sozialversicherung bestand nicht. Nach der Regelung in der DDR wurde beim Zusammentreffen von zwei Rentenansprüchen (z.B. Altersrente und Dienstbeschädigungsteilrente) die höhere Rente voll und die niedrigere Rente zur Hälfte gewährt.

Durch den Staatsvertrag vom Mai 1990 und den nachfolgenden Einigungsvertrag sind die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme geschlossen worden. Die Rentenansprüche aus Sonderversorgungssystemen wurden in eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung umgewandelt. Eine Regelung über Rentenansprüche aufgrund von Dienstbeschädigungen trifft der Einigungsvertrag nicht. Ansprüche und Anwartschaften aufgrund von Arbeitsunfällen sind demgegenüber in die gesetzliche Unfallversicherung der Bundesrepublik überführt worden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bezieht sich diese Überführung nicht auf Dienstbeschädigungsteilrenten.

Diese Regelungen führten im hier streitigen Zeitraum vom 1991 bis 1996 dazu, dass Dienstbeschädigungsteilrenten an frühere Begünstigte von Sonderversorgungssystemen grundsätzlich nicht mehr gezahlt worden sind. Demgegenüber hatten alle übrigen Versicherten der DDR, die in das System der gesetzlichen Sozialversicherung der Bundesrepublik übernommen wurden, nach den Vorschriften über die gesetzliche Unfallversicherung auch für teilweise Körperschäden aufgrund von Arbeitsunfällen etc. Anspruch auf eine Rente.

1997 sind die einschlägigen Gesetze erneut geändert worden. Die früheren Angehörigen von Sonderversorgungssystemen erhalten nunmehr - mit Ausnahme der Mitarbeiter des MfS - entsprechende Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (sogenannter Dienstbeschädigungsausgleich)

2. Der Entscheidung des Ersten Senats lagen Verfahren ehemaliger Bediensteter der Feuerwehr, der Nationalen Volksarmee, der Volkspolizei und des MfS zugrunde. Sie alle sehen sich durch die ersatzlose Abschaffung der Dienstbeschädigungsteilrente als Bürger des Beitrittsgebiets willkürlich schlechter gestellt.

Der Erste Senat hat festgestellt, dass die Verfassungsbeschwerden begründet sind. Die Vorschriften des § 9 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 und des § 11 Abs. 2 und 5 Satz 2 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes - AAÜG - sind mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Sie benachteiligen die in Sonderversorgungssystemen Versicherten gegenüber Personen, die in der DDR eine Unfallrente erhalten haben. Rechtfertigende Gründe für diese Benachteiligung liegen nicht vor. Die Härten, die sich aus der Anwendung der Vorschrift ergeben hatten, haben den Gesetzgeber schließlich veranlasst, nach dem Jahr 1996 eine eigenständige Leistung zum Ausgleich von Dienstbeschädigungen zu schaffen. Zwar hat der Gesetzgeber bei der Harmonisierung der Rentensysteme im wiedervereinigten Deutschland einen weiten Gestaltungsspielraum. Entscheidet er sich aber dafür, die ostdeutschen Unfallrenten in das System der gesamtdeutschen gesetzlichen Unfallversicherung zu überführen, kann er nicht andererseits eine im Zusammenhang mit einem Dienstunfall entstandene Beschädigung der Gesundheit bei der Gruppe der Sonderversorgten überhaupt nicht berücksichtigen, soweit die zum Ausgleich des Schadens gewährte Teilrente mit bestimmten Versorgungs- und Rentenleistungen zusammentrifft. Er verletzt, wenn er so unterscheidet, Art. 3 Abs. 1 GG. Von der verfassungsrechtlich unbedenklichen Möglichkeit des Einigungsvertrages, die Dienstbeschädigungsteilrente zu kürzen oder abzuerkennen, wenn der Unfall sich im Zusammenhang mit einer dienstlichen Handlung ereignet hat, bei der der Beschädigte gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat, hat der Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht.

Die unterschiedliche Behandlung konnte auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Abbaus überhöhter Leistungen gerechtfertigt werden. Solche überhöhten Leistungen liegen im Fall der Gewährung einer Dienstbeschädigungsteilrente im Allgemeinen nicht vor. Dienstbeschädigungen und Arbeitsunfälle wurden in der DDR nach den gleichen Grundsätzen entschädigt.

Der Senat hat die zugrundeliegenden Vorschriften nicht für nichtig, sondern lediglich für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt. Dem Gesetzgeber stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen. Da mit der Gesetzesänderung ab 1997 die durch den Wegfall der Dienstbeschädigungsteilrenten aufgetretenen Härten beseitigt worden sind, ist der Gesetzgeber nicht gehindert, diese Regelung auch auf den Zeitraum davor zu erstrecken. Es ist jedoch seine Sache, zu entscheiden, ob der Verfassungsverstoß auf diese oder andere Weise bereinigt werden soll.

Karlsruhe, den 14. Februar 2002