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BVerfG: Zur Aufhebung der Steuerfreiheit von Zinsen aus Sozialpfandbriefen

Pressemitteilung Nr. 60/2002 vom 2. Juli 2002

Beschluss vom 05. Februar 2002
2 BvR 305/93

Nach dem Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2002 schränkt die Aufhebung der Steuerfreiheit für sog. Sozialpfandbriefe die allgemeine Handlungs-freiheit von Erwerbern dieser Papiere und deren Recht auf steuerliche Gleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ein. Sie genügt insbesondere den Erfordernissen des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes.

I.

Der Entscheidung liegen drei Verfassungsbeschwerden zugrunde. Die Beschwerdeführerinnen (Bf) halten als Zweiterwerber sog. Sozialpfandbriefe, die zwischen 1963 und 1984 erworben wurden. Sie hatten dabei zum Teil Dispositionen in Millionenhöhe vorgenommen.

Nach § 3a des Einkommensteuergesetzes (EStG) waren bis zum Inkrafttreten des Steuerände-rungsgesetzes 1992 Zinsen aus bestimmten, überwiegend vor dem 1. Januar 1955 ausgegebenen festverzinslichen Wertpapieren steuerfrei. Die Steuerbefreiung wurde 1953 eingeführt, um das Zinsniveau niedrig zu halten und den sozialen Wohnungsbau zu fördern. Die Steuerfreiheit galt für Zinsen aus Pfandbriefen und Kommunalschuldverschreibungen, deren Erlöse überwiegend der Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus dienen sollten (sog. Sozialpfandbriefe, § 3a Abs. 1 Nr. 1 EStG), für bestimmte Schuldverschreibungen und Schatzanweisungen des Bundes und der Länder (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 EStG) sowie für bestimmte andere Wertpapiere (§ 3a Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG). In den Jahren nach 1967 hielt die Bundesregierung an der Beibehaltung der Steuerfreiheit aus Gründen des Vertrauensschutzes und zur Vermeidung von Rückwirkungen auf den Rentenmarkt fest. 1991 war noch ein Volumen von ca. 4,3 Milliarden DM nach § 3a EStG steuerbefreiter Wertpapiere im Umlauf, die überwiegend im Betriebsvermögen institutioneller Anleger gehalten wurden.

§ 3a EStG wurde durch das Steueränderungsgesetz 1992 aufgehoben. In Folge dessen unterliegen Sozialpfandbriefzinsen für die verbleibende Laufzeit in individuell jeweils unterschiedlicher Höhe der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Ihr Marktwert sank teilweise unter den ursprünglichen Nennwert und den Wert zum Zeitpunkt des Eigentumserwerbs der Bf. Diese weisen darauf hin, die Steuersubvention habe nicht sie, sondern vor allem die Bauherren und Hypothekenbanken begünstigt.

II.

1) Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hält die Verfassungsbeschwerden, soweit sie sich gegen die Aufhebung der Steuerfreiheit von Zinsen aus sog. Sozialpfandbriefen richten, für zulässig, aber unbegründet. Zur Begründung heißt es:

Ein Eingriff in die Eigentumsfreiheit liegt nicht vor. Dies trifft zunächst für den durch den Steuer-zugriff ausgelösten Kursverlust der Sozialpfandbriefe zu. Hoheitlich verursachte Minderungen des Tausch- oder Marktwertes eines geschützten vermögenswerten Rechts berühren nämlich in der Regel nicht das Eigentumsgrundrecht. Die Aufhebung der Steuerfreiheit entwertet die Sozial-pfandbriefe auch nicht in ihrer Substanz. Denn weder die Zusage, die Anleihe zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückzuzahlen, noch der Zinsanspruch sind beeinträchtigt

Der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Abbau einer nicht mehr gerechtfertigten Steuersubvention dient der folgerichtigen Ausgestaltung der steuergesetzlichen Belastungsgründe und wird so auch im Hinblick auf die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich durch einen hinreichenden Legitimationsgrund getragen.

Die Aufhebung der Steuerfreiheit verstößt weiter auch nicht gegen das Vertrauensschutzprinzip. Das Interesse des Staats und gemeinen Wohls überwiegt die schutzwürdigen Interessen der Bf an einem Fortbestand der ihnen günstigen Rechtslage. Für den Vertrauensschutz ist auf den Zeitpunkt des Erwerbs der Wertpapiere durch die Bf abzustellen. Dieser lag vor 1992. Zwar haben die Bf die Sozialpfandbriefe in Kenntnis der Steuerbefreiung erworben und auf deren Fortbestand vertraut. Dabei wurde dieses Vertrauen durch Äußerungen öffentlicher Stellen zu ihrer Einschätzung der Rechtslage teilweise noch verstärkt, teilweise aber auch abgeschwächt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die allgemeine Erwartung des Bür-gers, das geltende Recht werde unverändert fortbestehen, verfassungsrechtlich nicht geschützt. Steuerpflichtige können grundsätzlich nicht darauf vertrauen, dass der Gesetzgeber steuerliche Vergünstigungen zu sozial- oder wirtschaftspolitischen Zwecken uneingeschränkt auch für die Zukunft aufrecht erhält. Dies gilt gerade bei unbefristeten und langjährigen Steuervergünstigungen. Eine abschließende Aussage über die zeitlichen Grenzen einer solchen Vertrauensgrundlage trifft das Bundesverfassungsgericht vorliegend nicht. Solche ergeben sich aus den zeitlichen Vorgaben der Steuersubvention und ihrem Schutzzweck. Dieser bestand in der Förderung des sozialen Woh-nungsbaus. Deshalb konnte kein Anleger erwarten, der Steuervorteil werde ihm um seiner selbst willen auch für den Zeitraum nach Rückzahlung der zu sichernden Wohnungsbaudarlehen und Erfüllung des Förderzwecks hinaus gewährt. Dieser Zeitraum war 1992 ausgelaufen. Soweit danach das Vertrauen der Bf in den Fortbestand der Steuerbegünstigung schutzwürdig ist, überwiegt jedenfalls das öffentliche Interesse an ihrer Aufhebung. Denn das Ziel der Bewältigung der finanziellen Lasten der deutschen Wiedervereinigung ist von überragender Bedeutung für das Gemeinwohl. Der Gesetzgeber durfte sich deshalb über das Vertrauensschutzinteresse der Bf hinwegsetzen.

Schließlich verstößt die Aufhebung der Steuerbefreiung auch nicht gegen den Grundsatz der Steu-ergerechtigkeit. Die Streichung einer steuerlichen Begünstigung und die damit verbundene An-wendung des allgemeinen Steuertarifs führen grundsätzlich keine Ungleichheit herbei, sondern stellen im Gegensatz größere Gleichheit her. Es ist auch nicht widersprüchlich, wenn die Steuer-subvention nach Erreichen der steuerlichen Lenkungszwecke aufgehoben wird.

2) Soweit sich die Bf weiter auch gegen die Aufhebung der Steuerfreiheit von Zinsen aus bestimm-ten Schuldverschreibungen und Schatzanweisungen des Bundes und der Länder (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 EStG) und aus bestimmten anderen Wertpapieren (§ 3a Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG) zur Wehr setzen, wurden die Verfassungsbeschwerden für unzulässig erklärt. Die Bf haben insoweit ihre recht-liche Betroffenheit nicht dargelegt.

Karlsruhe, den 2. Juli 2002