Bundesverfassungsgericht

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Zur Informationstätigkeit der Bundesregierung im Bereich des Verbraucherschutzes

Pressemitteilung Nr. 67/2002 vom 30. Juli 2002

Beschluss vom 26. Juni 2002
1 BvR 558/91

Mit Beschluss vom 26. Juni 2002 hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts die Zulässigkeit staatlicher Verbraucherinformationen bejaht. Anlass war der Glykol-Skandal des Jahres 1985. Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hatte damals eine Liste mit Weinen herausgegeben, bei denen Diethylenglykol (DEG) festgestellt worden war. Die Beimischung von DEG widersprach dem Weingesetz. Die Beschwerdeführer sind Weinkellereien, die mit mehreren Produkten unter namentlicher Bezeichnung in der Liste aufgeführt worden waren. Sie behaupten, Rufschäden und Umsatzeinbußen erlitten zu haben. Ihre Klagen gegen die Listenveröffentlichung waren bei den Verwaltungsgerichten erfolglos. Der Erste Senat hat ihre Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.

In der Begründung für seine Entscheidung nimmt der Senat insbesondere zur Reichweite der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG und zum Informationshandeln der Bundesregierung Stellung und führt im Wesentlichen aus:

a) Der Schutz der Berufsfreiheit von Unternehmen wird durch die rechtlichen Regeln mitbestimmt, die den Wettbewerb ermöglichen und begrenzen. Die Wettbewerbsposition und damit auch der Umsatz der am Markt tätigen Unternehmen sind dem Risiko laufender Veränderung je nach den Marktverhältnissen ausgesetzt. So setzt sich ein am Markt tätiges Unternehmen der Kritik an der Qualität seiner Produkte aus und muss daraus entstehende Folgen für seinen Markterfolg hinnehmen. Art. 12 Abs. 1 GG vermittelt kein Recht des Unternehmens, nur so von anderen dargestellt zu werden, wie es gesehen werden möchte oder wie es sich und seine Produkte selber sieht.

b) Art. 12 Abs. 1 GG schützt Marktteilnehmer nicht vor der Verbreitung zutreffender und sachlich gehaltener Informationen am Markt. Auch der Staat darf marktbezogene Informationen verbreiten. Die Rechtsordnung zielt auf Markttransparenz, indem sie auf ein hohes Maß an markterheblichen Informationen ausgerichtet ist.

Die inhaltliche Richtigkeit einer wettbewerbserheblichen Information ist grundsätzlich Voraussetzung dafür, dass sie die Transparenz am Markt und damit dessen Funktionsfähigkeit fördert. Verbleiben trotz sorgfältiger Prüfung durch die staatliche Stelle Unsicherheiten über die Richtigkeit, sind die Marktteilnehmer darauf hinzuweisen. Auch bei zutreffendem Inhalt darf eine staatliche Information in der Form weder unsachlich noch herabsetzend sein.

c) Die Bundesregierung ist auf Grund ihrer Aufgabe der Staatsleitung überall dort zur Informationsarbeit berechtigt, wo ihr eine gesamtstaatliche Verantwortung zukommt, die mit Hilfe von Informationen wahrgenommen werden kann.

Zur Aufgabe der Staatsleitung der Regierung gehört es, durch rechtzeitige Informationen die Bewältigung von Konflikten in Staat und Gesellschaft zu erleichtern, auf Krisen schnell und sachgerecht zu reagieren sowie den Bürgern zu Orientierungen zu verhelfen. Aktuelle Krisen im Agrar- und Lebensmittelbereich zeigen beispielhaft, wie wichtig öffentlich zugängliche, mit der Autorität der Regierung versehene Informationen zur Bewältigung solcher Situationen sind (vgl. Pressemitteilung Nr. 68/2002 zum Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 -).

Die Bundesregierung muss auch im Bereich des Informationshandelns die Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern wahren. Die Bundesregierung ist berechtigt, Informationen zu verbreiten, wenn sie sich auf Vorgänge mit überregionalem Charakter beziehen und eine bundesweite Informationsarbeit die Effektivität der Problembewältigung fördert. Durch dieses Informationshandeln wird weder das der Landesregierungen ausgeschlossen oder behindert noch wird den Verwaltungsbehörden verwehrt, ihre administrativen Aufgaben zu erfüllen.

d) Der Senat stellt fest, dass die mit den Verfassungsbeschwerden angegriffene Listenveröffentlichung den verfassungsrechtlichen Maßstäben gerecht wird. Die in der Liste enthaltenen Äußerungen waren zutreffend. Die Veröffentlichung stellt keine Beeinträchtigung der Berufsfreiheit der Weinkellereien dar. Dies gilt auch für deren namentliche Nennung.

Die Verbreitung der Liste zielte auf Krisenbewältigung, insbesondere die Wiederherstellung des Vertrauens am überregionalen Weinmarkt. Die Information über die Verletzung von Qualitätsanforderungen bei Weinen bestimmter Lagen und Abfüller schuf Markttransparenz. Sie befähigte die Anbieter und Nachfrager auf dem Weinmarkt dazu, mit der unerwünschten, möglicherweise sogar gefährlichen, Situation in informierter und damit eigenbestimmter Weise umzugehen. Der Inhalt der Liste lief hinsichtlich der DEG-haltigen Weine auf eine Warnung der Verbraucher hinaus, hinsichtlich anderer Weine auf Entwarnung. Den Marktteilnehmern blieb es überlassen, wie sie auf die Informationen reagierten.

Die Verbreitung der Information durch die Bundesregierung hinderte die Bundesländer nicht, ihrerseits Informationen zu verbreiten oder administrative Maßnahmen der Gefahrenabwehr zu ergreifen.

Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1BvR 558/91 - und - 1 BvR 1428/91 -

Karlsruhe, den 30. Juli 2002