Bundesverfassungsgericht

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Zur Neuerrichtung von Telekommunikationslinien auf Privatgrundstücken

Pressemitteilung Nr. 77/2002 vom 11. September 2002

Beschluss vom 26. August 2002
1 BvR 142/02

Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde (Vb) von Grundstückseigentümern, die sich gegen die Verlegung von Leerrohren zu telekommunikativen Zwecken auf ihrem Grundstück wehren, nicht zur Entscheidung angenommen. Die Vb betrifft die Duldungspflicht des privaten Grundstückseigentümers nach dem Telekommunikationsgesetz.

1. Die Beschwerdeführer (Bf) sind Eigentümer eines landwirtschaftlich genutzten Grundstücks. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens, ein Unternehmen der Energieversorgung, ist aufgrund einer durch beschränkte persönliche Dienstbarkeit gesicherten Vereinbarung befugt, das Grundstück zum Einlegen, Belassen und Betreiben einer Erdgasleitung nebst Zubehör in einem 10 Meter breiten und 92 Meter langen Schutzstreifen zu nutzen. Die Bf müssen nach dieser Vereinbarung alle Maßnahmen unterlassen, die den Bestand und den Betrieb der Leitungen oder deren Zubehör gefährden könnten. 1997 ließ die Beklagte im Bereich des Schutzstreifens in etwa zwei Metern Abstand zu dem Gasrohr zwei Schutzrohre zur Aufnahme von bis zu zwei Lichtwellenleiterkabeln (LWL-Kabel) einlegen und in die Leerrohre sodann LWL-Kabel einblasen. Nunmehr betreibt die Beklagte den Einbau eines weiteren Schutzrohrbündels zu telekommunikativen Zwecken in einem Abstand von vier Metern zu der Gasleitung. Die Bf haben unter anderem Unterlassung und Beseitigung verlangt. Ihre Klage, Berufung und Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) blieben erfolglos. Nach dem BGH ist die Duldungspflicht des Privateigentümers nicht nur begründet, wenn bereits vorhandene Leitungen im Wege der Zweckänderung für telekommunikative Aufgaben genutzt werden sollen, sondern auch dann, wenn der Unternehmer den durch eine Dienstbarkeit geschützten Bereich, in dem bisher schon eine Versorgungsleitung unterhalten wurde, für die Neuerrichtung von Telekommunikationslinien in Anspruch nimmt. Hiergegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde. Mit ihr rügen die Bf eine Verletzung ihres Eigentumsgrundrechts und einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip. 2. Die Voraussetzungen zur Annahme der Vb liegt nicht vor. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu und sie hat keine Aussicht auf Erfolg.

Die angegriffenen Urteile beruhen auf § 57 Abs. 1 Nr. 1 Telekommunikationsgesetz (TKG; s. Anlage). Diese Norm legt in verfassungsrechtlich bedenkenfreier Weise fest, unter welchen Voraussetzungen den Eigentümer eines Grundstücks eine Duldungspflicht trifft.

Der BGH hat bei der Bestimmung des Inhalts dieser Duldungspflicht die verfassungsrechtlichen Grenzen zulässiger Auslegung des einfachen Rechts nicht überschritten. Außerdem ist die Duldungspflicht in dieser Auslegung mit dem Eigentumsgrundrecht vereinbar.

Die Duldungspflicht nach dem TKG stellt keine Enteignung, sondern eine Inhaltsbestimmung des Eigentums dar. Das Gesetz erlegt dem jeweiligen Grundstückseigentümer lediglich eine erweiterte Duldungspflicht auf, ohne das Eigentum an dem in Anspruch genommenen Grundstückteil ganz oder teilweise zu entziehen.

Bei der Inhaltsbestimmung des Eigentums muss der Gesetzgeber die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls zu einem gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis bringen. Die Gerichte haben die im Gesetz auf verfassungsmäßiger Grundlage zum Ausdruck gekommene Interessenabwägung zu beachten und nachzuvollziehen. Diesen Anforderungen ist hier entsprochen worden.

Der Gesetzgeber hat, was die Nutzung von Grund und Boden zu Telekommunikationszwecken anbelangt, die schutzwürdigen Interessen der Grundstückseigentümer und die betroffenen Belange des Gemeinwohls abgewogen und dabei auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen. Aus dem Grundgesetz (GG) ergibt sich, dass der Telekommunikationssektor im Rahmen der Volkswirtschaft eine herausgehobene Bedeutung hat. Der Bund gewährleistet danach im Bereich des Postwesens und der Telekommunikation flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen. Der Gesetzgeber hat im Rahmen der gesetzlichen Neuregelung des Telekommunikationssektors und der dabei erforderlichen Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen dem Grundeigentümer eine geringfügig erweiterte Duldungspflicht auferlegt. Es handelt sich insoweit um eine die Sozialpflichtigkeit des Eigentums konkretisierende, unter den gesetzlich normierten Voraussetzungen ausgleichspflichtige Inhaltsbestimmung im Sinne von Art. 14. Abs. 1 GG. Dies ist vor folgendem Hintergrund gerechtfertigt:

Die Duldungspflicht knüpft nach dem Gesetz an eine regelmäßig mit Einverständnis des Eigentümers eingegangene Vorbelastung des Grundstücks an. Sie ist dadurch begrenzt, dass durch die Einrichtung, den Betrieb und die Erneuerung von Telekommunikationslinien die Nutzbarkeit des Grundstücks nicht dauerhaft zusätzlich eingeschränkt werden darf. Außerdem sieht das TKG einen Geldausgleichsanspruch des Grundstückseigentümers vor, wenn durch bestimmte Maßnahmen eine Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt werden. Schließlich kann der Eigentümer darüber hinaus für eine erweiterte Nutzung zu Zwecken der Telekommunikation einen Ausgleich in Geld verlangen, sofern bisher keine Leitungswege vorhanden waren, die zu Zwecken der Telekommunikation genutzt werden konnten. Die Höhe dieses Anspruchs richtet sich nach der Rechtsprechung des BGH in erster Linie nach dem Entgelt, das nach den jeweiligen Marktverhältnissen für die Einräumung eines Leitungsrechts zu allgemeinen Telekommunikationszwecken gezahlt wird. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Nach den weiteren Ausführungen der Kammer muss - im Unterschied zur Aktualisierung einer Eigentumsbeschränkung durch einen der Bestandskraft fähigen Verwaltungsakt - von Verfassungs wegen nicht einfachrechtlich sichergestellt werden, dass mit der Aktualisierung der Duldungspflicht auch über die Höhe des zu gewährenden Ausgleichs entschieden wird. Denn der Grundstückseigentümer, der die Verlegung der Telekommunikationsleitungen dulden muss, weiß, dass ihm ein Ausgleichsanspruch unter den Voraussetzungen des TKG zusteht, über den im Streitfall die Zivilgerichte zu befinden haben.

Schließlich führt auch die vom BGH vorgenommene Auslegung des § 57 Abs. 1 Nr. 1 TKG zu keinen dauerhaften Einschränkungen der Nutzbarkeit des Grundstücks, die über das vorher vom Eigentümer eingeräumte Maß hinausgehen.

Karlsruhe, den 11. September 2002