Bundesverfassungsgericht

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Zur Beteiligung deutscher Soldaten an NATO AWACS-Einsatz in der Türkei

Pressemitteilung Nr. 26/2003 vom 25. März 2003

Beschluss vom 25. März 2003
2 BvQ 18/03

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluss vom 25. März 2003 den Antrag der FDP-Bundestagsfraktion auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Bundesregierung abgelehnt.

Zum Sachverhalt:

Die FDP-Fraktion wollte erreichen, dass der Deutsche Bundestag von der Bundesregierung unverzüglich mit der Angelegenheit befasst wird, damit eine Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldaten herbeigeführt werden kann. Sie meint, dass die Teilnahme deutscher Soldaten an dem AWACS-Einsatz der NATO über der Türkei keine "Routinemaßnahme" sei. Es handele sich vielmehr um einen militärischen Einsatz, der der Zustimmung des Deutschen Bundestages bedürfe. Es sei unrealistisch anzunehmen, dass der Einsatz der AWACS-Flugzeuge zum Schutz der Türkei strikt von dem Einsatz anderer Flugzeuge über dem Irak zu trennen sei.

In den Gründen der Entscheidung heißt es:

Der Antrag hat - nach der gegenwärtig bekannten Sachlage - keinen Erfolg.

Das Bundesverfassungsgericht legt bei der Prüfung der Voraussetzungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich einen strengen Maßstab an. Die Anforderungen verschärfen sich zusätzlich, wenn es - wie hier - um eine Maßnahme mit völkerrechtlichen oder außenpolitischen Auswirkungen geht.

1. Teile des NATO AWACS-Verbandes, an dem deutsche Soldaten in größerer Zahl beteiligt sind, wurden in die Türkei verlegt. Es ist bei der gegenwärtigen geopolitischen Lage nicht auszuschließen, dass es sich dabei um einen Einsatz handelt, dem der Bundestag zustimmen muss.

In einem - derzeit noch nicht anhängigen - Hauptsacheverfahren wird zu klären sein, wie weit der konstitutive Parlamentsvorbehalt im Wehrverfassungsrecht reicht. Unter den heutigen politischen Bedingungen, in denen Kriege nicht mehr förmlich erklärt werden, steht eine sukzessive Verstrickung in bewaffnete Auseinandersetzungen dem offiziellen Kriegseintritt gleich. Deshalb unterliegt grundsätzlich jeder Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte der konstitutiven parlamentarischen Mitwirkung. Weiter ist klärungsbedürftig, wann der "Einsatz bewaffneter Streitkräfte" anzunehmen ist, insbesondere wann deutsche Soldaten "in bewaffnete Unternehmungen einbezogen" sind. Im konkreten Fall ist die Frage zu beantworten, inwieweit der Einsatz in integrierten NATO-Verbänden zu einem den Parlamentsvorbehalt auslösenden bewaffneten Einsatz wird, wenn diese Verbände den Luftraum eines Bündnismitglieds überwachen, dessen Staatsgebiet unmittelbar an ein kriegsbefangenes Territorium angrenzt oder wenn sich die Überwachung darüber hinaus auf das Territorium eines an dem bewaffneten Konflikt beteiligten Staates erstreckt.

Die tatsächliche Entwicklung lässt - nach dem derzeitigen Erkenntnisstand des Senats - eine unmittelbare Einbeziehung in Kampfhandlungen nicht erkennen. Deshalb ist der Antrag nicht offensichtlich begründet.

2. Eine Folgenabwägung fällt zu Lasten der Antragstellerin aus, weshalb ihr Antrag abzulehnen war.

Die Antragstellerin beruft sich für den Bundestag auf den konstitutiven Parlamentsvorbehalt. Dieses Beteiligungsrecht hat ein hohes Gewicht, weil die Bundeswehr ein Parlamentsheer ist. Die Bundeswehr ist dadurch in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung eingefügt. Die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen ohne Zustimmung des Bundestages greift deshalb prinzipiell tief in die Rechte des Parlaments ein.

Dem steht auf der anderen Seite die außenpolitische Verantwortung der Exekutive mit ihrem Kernbereich eigener Entscheidungsfreiheit gegenüber. Soweit der Parlamentsvorbehalt nicht eingreift, steht allein der Bundesregierung die außenpolitische Entscheidung zu, in welchem Umfang die Bundesrepublik Deutschland sich an der Ausführung des Beschlusses des Verteidigungsplanungsausschusses der NATO vom 19. Februar 2003 beteiligt. Der durch den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ausgelöste Zwang, sich in einer aktuellen außenpolitischen Krisensituation um die politische Zustimmung des Bundestages bemühen zu müssen oder aber - wenn dies vermieden werden soll - die deutschen Soldaten aus den betreffenden integrierten NATO-Verbänden abzuziehen, griffe in erheblichem Umfang in den Kernbereich der außen- und sicherheitspolitischen Verantwortung der Bundesregierung ein, wenn sich im Hauptsacheverfahren ergäbe, dass ein Beteiligungsrecht des Bundestages im konkreten Fall nicht besteht.

Der Senat konnte das für den Erlass der einstweiligen Anordnung erforderliche deutliche Überwiegen der Rechte des Bundestages nicht feststellen. Die ungeschmälerte außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesregierung hat auch im gesamtstaatlichen Interesse an der außen- und sicherheitspolitischen Verlässlichkeit Deutschlands bei der Abwägung ein besonderes Gewicht. Es steht der gefährdeten Rechtsposition des Bundestages zumindest gleichwertig gegenüber.

Karlsruhe, den 25. März 2003