Bundesverfassungsgericht

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Vorläufiger Rechtsschutz gegen die Zustellung einer Sammelklage

Pressemitteilung Nr. 58/2003 vom 25. Juli 2003

Beschluss vom 25. Juli 2003
2 BvR 1198/03

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat heute im Wege der einstweiligen Anordnung der Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf für die Dauer von sechs Monaten, längstens bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde untersagt, die vor einem US- amerikanischen Gericht eingereichte Schadensersatzklage einer Gruppe US- amerikanischer Musikautoren- und Verlage der Beschwerdeführerin (Bf), der Bertelsmann AG, in Deutschland zustellen zu lassen.

Es geht in dem Eilverfahren um Folgendes:

Die Kläger des US-amerikanischen Ausgangsverfahrens behaupten, die Bf sei an der mittlerweile insolventen Musiktauschbörse "Napster" beteiligt gewesen und insoweit auch für möglicherweise von der Musiktauschbörse begangene Urheberrechtsverletzungen verantwortlich. In dem als Sammelklage eingeleiteten Klageverfahren wird Schadensersatz in Höhe von 17 Milliarden US- Dollar beansprucht. Die Zustellung der Klageschrift ist einerseits Prozessvoraussetzung im US-amerikanischen Recht, andererseits ist sie nach deutschem Zivilprozess die Voraussetzung für die spätere Anerkennung des ausländischen Urteils. Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Düsseldorf beschied als zuständige "zentrale Behörde" den Zustellungsantrag der Kläger auf Zustellung nach dem Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland ( HZÜ) positiv und erließ eine Zustellungsanordnung. Der Zustellungsversuch bei der Bf scheiterte jedoch wegen Nichtannahme des Schriftstücks. Die Bf blieb mit ihrem daraufhin gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Zustellungsanordnung vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf ohne Erfolg. Hiergegen hat sie in der Hauptsache Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie macht eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG sowie aus Art. 2 Abs. 1 GG geltend. Für ihren Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz verweist sie auf die hohe Wahrscheinlichkeit eines bevorstehenden weiteren Zustellungsversuchs. Mit der Zustellung träten die Beeinträchtigungen ihrer Grundrechtspositionen ein und würden sich negativ auf ihren Geschäftsbetrieb auswirken.

Aus den Gründen der Entscheidung geht hervor:

1. Die Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Grundsätzlich wird die innerstaatliche Rechtsordnung nicht zum Prüfungsmaßstab für eine Zustellung nach dem HZÜ gemacht. Ausnahmsweise kann auf Grund des Vorbehalts in dem HZÜ ein Zustellungsersuchen jedoch abgelehnt werden, wenn der ersuchte Staat die Zustellung für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang bereits entschieden, dass die Gewährung von Rechtshilfe durch die Zustellung einer Klage, mit der Ansprüche auf Strafschadensersatz nach US-amerikanischem Recht geltend gemacht werden, nicht die allgemeine Handlungsfreiheit in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzt. Offen ist dabei jedoch geblieben, ob die Zustellung einer solchen Klage mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip zu vereinbaren ist, wenn das mit der ausländischen Klage angestrebte Ziel offensichtlich gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats verstößt. Werden Verfahren vor staatlichen Gerichten in einer offenkundig missbräuchlichen Art und Weise genutzt, um mit publizistischem Druck und dem Risiko einer Verurteilung einen Marktteilnehmer gefügig zu machen, könnte dies deutsches Verfassungsrecht verletzen. Die Klärung der Frage, ob diese Grenze im vorliegenden Fall überschritten ist, bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Dies wird in der Entscheidung im Einzelnen näher ausgeführt.

2. Die Entscheidung zu Gunsten der Bf ergeht auf Grund einer Folgenabwägung.

Wird die einstweilige Anordnung antragsgemäß erlassen, obwohl sich die Verfassungsbeschwerde später aber als unbegründet herausstellt, hätte sich die Zustellung der Klage im Wege der Rechtshilfe lediglich verzögert. Unwiederbringliche Rechtsnachteile für die Kläger des US- amerikanischen Ausgangsverfahrens verbinden sich damit erkennbar nicht. Unterbleibt hingegen der Erlass der einstweiligen Anordnung, erweist sich die Gewährung der Rechtshilfe im Hauptsacheverfahren aber als verfassungswidrig, dürfte die Bf in das US-amerikanische Verfahren einbezogen sein und das erkennende Bundesgericht über die Zulassung der Klage als Sammelklage mit den entsprechenden Rechtsfolgen entscheiden. Die Bf ist bei weiterem Verfahrensfortgang der Gefahr einer Verurteilung ausgesetzt, die bei unterstelltem Erfolg in der Hauptsache den Maßstäben des Grundgesetzes nicht Stand hielte. Selbst wenn das Urteil später im Inland nicht anerkannt oder für nicht vollstreckbar erklärt wird, könnte in das in den Vereinigten Staaten belegene Vermögen der Bf vollstreckt werden. Außerdem ist sie dadurch nicht vor einem mit der Zustellung geförderten Reputationsverlust geschützt.

Karlsruhe, den 25. Juli 2003