Bundesverfassungsgericht

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Zuschüsse zur Ergänzung der abgesenkten "Ostbesoldung"

Pressemitteilung Nr. 99/2003 vom 11. Dezember 2003

Beschluss vom 13. November 2003, Beschluss vom 19. November 2003
2 BvR 1883/99
2 BvR 538/00

Zwei Beamte aus Sachsen-Anhalt (Beschwerdeführer; Bf), die die Gewährung eines die abgesenkte Besoldung im Beitrittsgebiet ergänzenden ruhegehaltsfähigen Zuschusses begehrten, waren mit ihren Verfassungsbeschwerden (Vb) erfolgreich. Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die angegriffenen Urteile des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) aufgehoben, weil sie die Bf in ihren Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verletzen. Die Sachen wurden an das BVerwG zurückverwiesen.

1. Den Entscheidungen liegen folgende Sachverhalte zugrunde:

Die beiden Vb sind vor dem Hintergrund der Beschlüsse des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Februar 2003 - 2 BvL 3/00 und 2 BvR 709/99 - zur so genannten "Ostbesoldung" (vgl. Pressemitteilung Nr. 52/2003 vom 17. Juli 2003) zu sehen. Die Vb richten sich gegen die niedrigere Besoldung für Beamte in den neuen Bundesländern. Die Dienstbezüge für Beamte, Richter und Soldaten, die von ihrer erstmaligen Ernennung an im Beitrittsgebiet verwendet wurden, betrugen zunächst 60 v. H. der für das bisherige Bundesgebiet geltenden Dienstbezüge. Sie wurden schrittweise von 60 v. H. bis auf 91 v. H. seit 1. Januar 2003 erhöht.

Außerdem begehren die Bf einen ruhegehaltsfähigen Zuschuss, den Beamte, Richter und Soldaten im Beitrittsgebiet zur Anpassung ihrer Dienstbezüge an das "Westniveau" erhalten, wenn sie bis zum 24. November 1997 aufgrund der Befähigungsvoraussetzungen ernannt worden sind, die sie im bisherigen Bundesgebiet erworben haben. Seit 25. November 1997 ist allerdings aufgrund einer Neufassung der Rechtsgrundlage die Bewilligung des Zuschusses von einem dringenden dienstlichen Bedürfnis für die Gewinnung eines Beamten, Richters oder Soldaten abhängig und steht im Ermessen des Dienstherrn.

Beide Bf hatten nach Beendigung der zehnklassigen polytechnischen Oberschule und nachdem sie eine weitere Ausbildung im Beitrittsgebiet im Jahre 1991 absolviert hatten, mit dem Land Sachsen-Anhalt einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen, im einen Fall für den mittleren Justizdienst und im anderen Fall für den gehobenen Justizdienst. Die Ausbildungen erfolgten in Niedersachsen nach den dort geltenden Ausbildungsvorschriften und wurden in den Jahren 1993 und 1994 jeweils mit der Abschlussprüfung erfolgreich beendet. Beide Bf sind seither in Sachsen-Anhalt als Beamte im mittleren bzw. im gehobenen Justizdienst tätig. Sie erhalten abgesenkte Dienstbezüge. Die Zahlung eines ruhegehaltsfähigen Zuschusses der genannten Art wurde beiden Bf verweigert. Ihre Klagen wurden letztinstanzlich durch das BVerwG abgewiesen. Dagegen richten sich die Vb. Die Bf rügen insbesondere die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG.

2. In den Gründen beider Entscheidungen heißt es:

Die angegriffenen Entscheidungen des BVerwG verletzen die Bf in ihren Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1 GG. Dies gilt zwar nicht hinsichtlich der Gewährung der abgesenkten Besoldung. Die niedrigere Besoldung für Beamte, Richter und Soldaten in den neuen Ländern ist derzeit noch mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies hat der Zweite Senat bereits mit seinem vorerwähnten Beschluss vom 12. Februar 2003 - 2 BvL 3/00 - entschieden. Die Bf sind jedoch deshalb in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 verletzt, weil das BVerwG die Voraussetzungen für die Gewährung des ruhegehaltsfähigen Zuschusses zur Angleichung ihrer Dienstbezüge an das "Westniveau" verneint hat. Mit der Zuschussregelung sollte dringend benötigtes Fachpersonal schnell gewonnen und das Vertrauen der Bürger der neuen Länder in Justiz und Verwaltung gestärkt werden.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit seinem ebenfalls vorerwähnten Beschluss vom 12. Februar 2003 - 2 BvR 709/99 - entschieden, dass es für die Gewährung des Zuschusses an Richter maßgeblich darauf ankommt, ob die fachliche Qualifikation im bisherigen Bundesgebiet erlangt worden ist. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die Gewährung des Zuschusses an Richter davon abhängig zu machen, ob das rechtswissenschaftliche Studium, das zu den laufbahnrechtlichen Vorbildungsvoraussetzungen zählt, sowie die erste juristische Staatsprüfung im Bundesgebiet absolviert worden sind, weil es sich bei dem rechtswissenschaftlichen Studium um eine fachbezogene Vorbildung handelt. Es vermittelt für den Vorbereitungsdienst grundlegende fachbezogene Inhalte, die im späteren Amt fortwirken; ihm kommt deshalb laufbahnrechtlich ein bedeutendes Gewicht zu.

Nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz zu vereinbaren ist es demgegenüber, die Gewährung des Zuschusses an Beamte der Laufbahnen des einfachen, mittleren und gehobenen Dienstes davon abhängig zu machen, ob der Abschluss einer allgemeinbildenden Schule oder einer als gleichwertig angesehenen Berufsausbildung im bisherigen Bundesgebiet erworben worden ist. Denn mit diesen laufbahnrechtlich vorausgesetzten Vorbildungen wird nicht an die fachliche Qualifikation angeknüpft. Sie vermitteln in der Regel keine spezifisch fachbezogenen Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die Wahrnehmung der Amtsaufgaben erforderlich sind, sondern allgemeine (Grund-)Kenntnisse und (Grund-)Fähigkeiten, auf denen die weitere laufbahnbezogene Ausbildung aufbaut. Der Schulbildung oder einer als gleichwertig angesehenen Ausbildung kommt damit für die Erreichung des mit der Zuschussregelung verfolgten Zwecks, ausreichend fachlich qualifiziertes Personal für den unverzüglichen Aufbau einer leistungsfähigen rechtsstaatlichen Verwaltung und Rechtspflege in den neuen Ländern zu gewinnen, nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Die maßgebliche fachliche Qualifikation wird regelmäßig erst durch den Vorbereitungsdienst und gegebenenfalls durch die Laufbahnprüfung erlangt.

Karlsruhe, den 11. Dezember 2003