Bundesverfassungsgericht

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Verfassungsbeschwerden gegen Ökosteuer ohne Erfolg

Pressemitteilung Nr. 42/2004 vom 20. April 2004

Urteil vom 20. April 2004
1 BvR 1748/99

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit heute verkündetem Urteil die Verfassungsbeschwerden (Vb) von zwei gewerblichen Kühlhausunternehmen und fünf Spediteuren (Beschwerdeführerinnen; Bf) betreffend die so genannte Ökosteuer zurückgewiesen. Das Produzierende Gewerbe darf im Interesse der Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland durch steuerliche Vergünstigungen vor Wettbewerbsnachteilen geschützt werden, denen dieser Wirtschaftszweig infolge der finanziellen Belastungen durch die Stromsteuer und die Erhöhung der Mineralölsteuer auf Heizstoffe seit dem 1. April 1999 ausgesetzt sein könnte.

Wegen des dem Verfahren zu Grunde liegenden Sachverhalts wird auf die Pressemitteilung Nr. 95/2003 vom 13. November 2003 verwiesen.

In den Gründen der Entscheidung heißt es:

1. Die Erhebung der Strom- und der Mineralölsteuer im Rahmen der ökologischen Steuerreform berühren weder das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) der Bf noch die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG). Deshalb sind die auf die Verletzung dieser Grundrechte gestützten Rügen der Bf bereits unzulässig. Das Grundrecht der Berufsfreiheit schützt grundsätzlich nicht vor Veränderungen der Marktdaten und Rahmenbedingungen der unternehmerischen Entscheidungen. Marktteilnehmer haben insbesondere keinen grundrechtlichen Anspruch auf eine erfolgreiche Marktteilhabe oder künftige Erwerbsmöglichkeiten. Art. 12 Abs. 1 GG ist jedoch dann berührt, wenn Normen, die zwar die Berufstätigkeit selbst unberührt lassen, aber Rahmenbedingungen der Berufsausübung verändern, in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs stehen und objektiv eine berufsregelnde Tendenz haben. Ein derartiger Zusammenhang zwischen den angegriffenen Steuern und dem Beruf der Bf besteht vorliegend nicht. Die Bf selbst werden durch das Strom- und Mineralölsteuergesetz weder gesetzlich verpflichtet noch in sonstiger Weise rechtlich belastet. Sie sind nicht selbst Schuldner der Strom- und der Mineralölsteuer. Steuerschuldner sind vielmehr die Stromversorger und die Inhaber der Mineralöllager, aus denen das Mineralöl in den freien Verkehr entnommen wird. Zwar sind die Steuern als Verbrauchsteuern auf Abwälzung angelegt, so dass die Versorgungsunternehmen und Mineralöllieferanten die Steuerlast über den Strom- und Mineralölpreis an die Bf weitergeben können. Ob dies angesichts der Abhängigkeit von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gelingt, ist jedoch ebenso ungewiss wie die Frage, ob die Bf gegebenenfalls tatsächlich damit belastet bleiben oder ob sie ihrerseits diese Belastung nicht an ihre Kunden weitergeben können. Das Grundrecht des Art. 14 Abs. 1 GG ist deshalb nicht berührt, weil die Eigentumsgarantie nicht die Erwartung des Unternehmers schützt, dass ein Unternehmen auch in der Zukunft rentabel betrieben werden kann.

2. Mit den Vb wird weiter gerügt, der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) sei verletzt, weil die Bf von den stromsteuerlichen und mineralölsteuerlichen Vergünstigungen ausgeschlossen seien. Insoweit sind die Vb zwar zulässig, in der Sache aber ohne Erfolg.

a. Für die Besteuerungsgleichheit kommt es auf die Eigenart der jeweiligen Steuer an. Bei der Ausgestaltung der Verbrauchsteuern hat der Gesetzgeber für eine möglichst gleichmäßige Belastung der in Anspruch Genommenen Sorge zu tragen. Er hat deshalb nicht nur den Steuerschuldner möglichst gleichmäßig zu belasten, sondern auch den End- und Letztverbraucher, der die indirekte Steuerlast - über eine oder mehrere Handelsstufen vermittelt - tragen soll, in den Blick zu nehmen. Nimmt der Gesetzgeber durch mittelbare Verhaltenssteuerung lenkend auf Wirtschaft und Gesellschaft Einfluss, muss der Lenkungszweck auf einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung beruhen und ebenfalls gleichheitsgerecht ausgestaltet sein. Allerdings hindert der Grundsatz der steuerlichen Gleichbehandlung den Gesetzgeber nicht, besonders problematische Wettbewerbssituationen der durch die Steuer betroffenen Unternehmen durch Steuerverschonung zu berücksichtigen und diese so zu entlasten. Insoweit hat der Gesetzgeber eine große Gestaltungsfreiheit. Er darf seine steuerliche Vergünstigungen jedoch nicht nach unsachlichen Gesichtspunkten, also nicht willkürlich gewähren. Insoweit gilt nichts anderes für die steuerrechtlich überbrachte Subvention wie für die direkte finanzielle Zuwendung.

b. Nach diesem Maßstab verstoßen die angegriffenen Vorschriften nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Der Einordnung der angegriffenen Abgaben auf Strom und Mineralöl als Steuern steht die Verknüpfung von Steueraufkommen und Senkung der Rentenversicherungsbeiträge nicht entgegen. Die vorgesehene Zweckbindung von Einnahmen ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Strom- und Mineralölsteuer sind Verbrauchsteuern. Nicht die unternehmerische Tätigkeit der Erzeugung von Strom und Mineralöl, sondern der Verbrauch dieser Wirtschaftsgüter wird besteuert. Die Steuer ist auf Überwälzung auf den Verbraucher angelegt. Ob dies in jedem Einzelfall gelingt, ist unerheblich. Der Einordnung als Verbrauchsteuer steht auch nicht entgegen, dass das steuerlich belastete Verbrauchsgut produktiv zur Erbringung von Dienstleistungen verwendet wird. Es gibt keinen Rechtssatz, der das Anknüpfen einer Verbrauchsteuer an ein Produktionsmittel verbietet. Verbrauchsteuern auf Rohstoffe kennt das deutsche Steuerrecht seit jeher.

Auch der Umstand, dass der Gesetzgeber mit der Einführung der Stromsteuer und Erhöhung der Mineralölsteuer Lenkungsziele verfolgt, indem er über eine Verteuerung des Energieverbrauchs Anreize zur Energieeinsparung bieten und damit günstige Umwelteffekte erzielen sowie den Faktor Arbeit entlasten will, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die gezielte Höherbelastung bestimmter steuerlicher Verbrauchstatbestände kann insbesondere auch durch umweltpolitische Zwecke gerechtfertigt werden.

Das ökologische Anliegen des Gesetzgebers verlangt allerdings eine grundsätzlich gleichmäßige Belastung bei gleicher Umweltschädlichkeit des Verbrauchs. Gleichwohl wird unter anderem das Produzierende Gewerbe gegenüber den übrigen Wirtschaftszweigen in § 9 Abs. 3, § 10 Abs. 1 und 2 StromStG begünstigt. Diese stromsteuerlichen Vergünstigungen für das Produzierende Gewerbe, nämlich für betriebliche Zwecke steuervergünstigten Strom zu beziehen und die ermäßigte Stromsteuerlast über den Spitzenausgleich weiter zu mindern, knüpfen nicht an den Verbrauch, sondern an den Verbraucher an. Sie werden nicht von dem ökologischen Lenkungszweck getragen, sondern stellen eine Maßnahme der Wirtschaftsförderung dar. Diese Steuerverschonung für das Produzierende Gewerbe verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Der Gesetzgeber darf mit den Vergünstigungen im Rahmen seines Gestaltungsspielraums wichtigen wirtschaftlichen Belangen den Vorrang vor seinem generellen umweltpolitischen Anliegen einräumen. Eine Verschlechterung der internationalen Wettbewerbsposition der in der Bundesrepublik Deutschland produzierten und international handelbaren Güter soll vermieden, eine Gefährdung des Wirtschaftsstandorts Deutschland verhindert und einer Verlagerung von Arbeitsplätzen in das Ausland entgegengewirkt werden.

Auch die Auswahl der begünstigten Wirtschaftszweige ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der nicht begünstigte Dienstleistungssektor steht nicht im selben Maße wie das Produzierende Gewerbe im internationalen Wettbewerb. Der Gesetzgeber durfte wegen der strukturellen Unterschiede von Warenproduktion und Dienstleistungserstellung davon ausgehen, dass Dienstleistungen im Gegensatz zu Warengütern nicht im gleichen Maße international handelbar sind.

Weiter halten sich die Bf im Wettbewerb mit den Betreibern betrieblicher Kühlhäuser des Produzierenden Gewerbes für benachteiligt, weil diese für Dritte Kühldienstleistungen mit steuervergünstigtem Strom in ihren betrieblichen Kühlhäusern erbrächten und so mit den Bf konkurrierten. Das Produzierende Gewerbe darf die Steuervergünstigung indessen nur für eigenbetriebliche Zwecke in Anspruch nehmen. Stellt es wie die Bf vortragen tatsächlich Kühlkapazitäten zur Einlagerung von Waren Dritter zur Verfügung, so verstoßen diese Unternehmen gegen geltendes Recht, wenn sie dafür die Steuervergünstigung in Anspruch nehmen. Diesem Missbrauch kann durch entsprechendes Einschreiten der Behörden entgegengewirkt werden.

Die weitere Rüge, die unterschiedliche steuerliche Belastung des Stromverbrauchs führe zu einem Verdrängungswettbewerb zu Lasten der Betreiber gewerblicher Kühlhäuser, weil das Produzierende Gewerbe vermehrt eigene Kühlhauskapazitäten aufbaue und damit die Kühlkapazitäten der Bf nicht mehr in Anspruch nehme, bleibt ohne Erfolg. Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht berührt. Denn gliedert ein Unternehmen zum Zwecke der Lagerung eigener Produkte einen vorher durch Outsourcing dem gewerblichen Bereich überlassenen Bereich der Produktionskette wieder in den Produktionsprozess ein, tritt es nicht selbst mit den gewerblichen Kühlhausbetreibern in Konkurrenz.

Auch die mineralölsteuerlichen Vergünstigungstatbestände (§§ 25, 25a MinöStG), die eine steuerlich überbrachte Subvention des Produzierenden Gewerbes bewirken, sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Bf rügen weiter eine Ungleichbehandlung unter dem Gesichtspunkt des Subventionszwecks. Sie machen geltend, der Kraftstoff habe für Speditionen dieselbe betriebswirtschaftliche Bedeutung wie das Mineralöl als Heizstoff für das Produzierende Gewerbe. Dass die Bf aus diesem Grunde nicht gleichfalls eine Steuerverschonung erfahren, verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Aus einer Steuervergünstigung für eine Gruppe erwächst aus Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich kein Anspruch einer anderen Gruppe auf eine andere Steuervergünstigung, die wirtschaftlich zu einer vergleichbaren Entlastung führt. Umstände, die es rechtfertigten, vorliegend eine Ausnahme anzunehmen, hat der Senat nicht erkennen können.

Die Entscheidung ist zur Zulässigkeit der Rüge wegen Verletzung des Grundrechts der Berufsfreiheit mit 7:1 Stimmen, im Übrigen im Ergebnis einstimmig ergangen.

Karlsruhe, den 20. April 2004