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Verfassungsbeschwerde gegen Brandenburgisches Hochschulgesetz ohne Erfolg

Pressemitteilung Nr. 104/2004 vom 26. November 2004

Beschluss vom 26. Oktober 2004
1 BvR 911/00

Der Erste Senat hat die Verfassungsbeschwerde (Vb) von Fakultäten und Professoren zweier brandenburgischer Hochschulen gegen Vorschriften des Brandenburgischen Hochschulgesetzes (BbgHG), durch die Organisationsstrukturen der Hochschulen des Landes Brandenburg verändert worden sind, teils als unzulässig, teils als unbegründet zurückgewiesen.

Zum rechtlichen Hintergrund und Sachverhalt:

Das brandenburgische Hochschulrecht wurde durch die Novelle vom 20. Mai 1999 reformiert. Das Gesetz folgt einem Leitbild, das mit ähnlicher Zielsetzung in zahlreichen Novellen der Hochschulgesetze der Länder umgesetzt worden ist. Es geht dabei um eine Reform der Organisationsstrukturen, die vor allem durch eine Stärkung der Leitungsorgane (Präsidentin oder Präsident; Dekanin oder Dekan) charakterisiert ist. Den Kollegialorganen verbleiben Grundsatz- und Kontrollkompetenzen. Weitere Eckpunkte dieses Leitbildes sind die Einbindung hochschulexterner Kräfte durch Hochschulräte, neue staatliche Steuerungstechniken, Evaluation (Bewertung und Beurteilung) und leistungsorientierte Vergabe von Personal- und Sachmitteln. Mit ihrer Vb machen die Beschwerdeführer (Bf) geltend, die angegriffenen Regelungen verletzen sie in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG (Wissenschaftsfreiheit).

In den Gründen der Entscheidung heißt es im Wesentlichen:

Die Verfassungsbeschwerden sind teilweise unzulässig, weil es insbesondere an der Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung fehlt. Teilweise sind die Vb auch unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität unzulässig, da die Bf Rechtsschutz durch die Anrufung der Fachgerichte erlangen können.

Die Verfassungsbeschwerden sind, soweit sie zulässig sind, unbegründet. Die angegriffenen Vorschriften sind mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar.

Die Garantie der Wissenschaftsfreiheit enthält neben einem individuellen Freiheitsrecht auch eine wertentscheidende Grundsatznorm. Der Staat muss für die Idee einer freien Wissenschaft einstehen und an ihrer Verwirklichung mitwirken. Daher ist die Hochschulorganisation so zu regeln, dass in der Hochschule freie Wissenschaft möglich ist und ungefährdet betrieben werden kann. Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der Vereinbarkeit von Organisationsnormen mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist darauf abzustellen, ob diese Regelungen Strukturen schaffen, die die freie wissenschaftliche Betätigung und Aufgabenerfüllung gefährden können. Solange der Gesetzgeber ein hinreichendes Maß an organisatorischer Selbstbestimmung der Grundrechtsträger sicherstellt, darf er den Wissenschaftsbetrieb nach seinem Ermessen regeln. Der Gesetzgeber darf nicht nur neue Modelle und Steuerungstechniken entwickeln und erproben, vielmehr ist er sogar verpflichtet, bisherige Organisationsformen zeitgemäß zu reformieren. Die zulässig angegriffenen Regelungen genügen diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben.

1. Die Stärkung der Kompetenzen der monokratischen Leitungsorgane ist mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar, solange deren Tätigkeit inhaltlich begrenzt und organisatorisch so abgesichert ist, dass die Wissenschaftsfreiheit nicht strukturell gefährdet ist.

a) Die Koordinationskompetenz der Leitungsorgane (§ 65 Abs. 1 Satz 4 Nr. 3, § 73 Abs. 2 Satz 3 BbgHG) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Durch die Vorschriften über die Freiheit von Lehre und Forschung (§ 4 Abs. 1 und 2 BbgHG) ist sichergestellt, dass die Koordinationsbefugnis nicht dazu genutzt werden darf, die Freiheit von Lehre und Forschung zu beeinträchtigen. Hinzu kommen Aufsichts- und Informationsrechte der Kollegialorgane gegenüber den Leitungsorganen (§ 67 Abs. 2, § 74 Abs. 2 BbgHG), das Recht zur Abwahl der Leitungsorgane (§ 65 Abs. 4, § 73 Abs. 1 Satz 4 BbgHG) und die Mitwirkungsbefugnis des Fachbereichsrats in Angelegenheiten der Koordination von Lehre und Forschung (§ 74 Abs. 1 Nr. 5 BbgHG).

b) Eine Gefahr für die Wissenschaftsfreiheit folgt auch nicht aus der subsidiären Auffangzuständigkeit der Fachbereichsleitungen (§ 73 Abs. 2 Satz 2 BbgHG). Denn diese ist insbesondere durch die in § 74 Abs. 1 BbgHG aufgezählten Zuständigkeiten der Fachbereichsräte begrenzt. Zudem ist durch § 4 Abs. 1 und 2 BbgHG klar gestellt, dass die Wahrnehmung der Zuständigkeit durch die Fachbereichsleitung nicht zu einer Beeinträchtigung von Forschung und Lehre führen darf.

c) Auch die Erteilung von Lehrbefugnissen durch die Hochschulleitung und von Lehraufträgen durch die Fachbereichsleitung (§ 53 Abs. 1 Satz 2, § 55 Abs. 3 Satz 2 BbgHG) ist mit der Wissenschaftsfreiheit vereinbar. Auf Grund ihrer Informations-, Aufsichts- und Abwahlbefugnisse haben die Kollegialorgane hinreichende Möglichkeiten, wissenschaftsinadäquate Entscheidungen zu verhindern.

2. Die Kompetenz der Leitungsorgane zur Evaluation von Lehre und Forschung sowie zur Berücksichtigung der Ergebnisse bei der Mittelverteilung (§ 65 Abs. 1 Satz 4 Nr. 4 und 5, § 73 Abs. 3 Satz 1 BbgHG) ist bei verfassungsgemäßer Auslegung ebenfalls mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar.

a) Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG enthält kein Verbot, an die Bewertung wissenschaftlicher Qualität Folgen bei der Mittelverteilung anzuknüpfen. Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Verteilung von Mitteln im Hochschulbereich auch leistungsorientiert vorzunehmen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn eine wissenschaftsadäquate Bewertung der Leistung hinreichend gewährleistet ist. Bei der Festlegung der Kriterien ist eine angemessene Beteiligung der Vertreter der Wissenschaft unabdingbar, um eine wissenschaftsfremde Steuerung zu vermeiden.

b) Die Evaluationskriterien sind im Brandenburgischen Hochschulgesetz nicht im Einzelnen festgelegt. Angesichts der erst allmählichen Herausbildung bewährter Praktiken der Wissenschaftsevaluation ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich noch nicht gehalten, solche Kriterien festzuschreiben. Er kann im Rahmen seines Einschätzungs- und Prognosespielraums ein Modell etablieren, in dem die Herausarbeitung solcher Kriterien einem inneruniversitären Prozess überlassen bleibt. Dies ist durch die Regelung im Brandenburgischen Hochschulgesetz geschehen. Sowohl die Evaluation der Lehre (§ 7, § 74 Abs. 1 Nr. 5 BbgHG) als auch die - weniger detailliert geregelte - Evaluation der Forschung (§ 65 Abs. 1 Satz 4 Nr. 4, § 74 Abs. 1 Nr. 5 BbgHG) erfolgen in einem Verfahren, das den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG genügt und die erforderliche Einbeziehung von wissenschaftlichem Sachverstand gewährleistet. Der Gesetzgeber ist aber gehalten, die Regelungen zur Organisation der Evaluation zu beobachten und ggf. nachzubessern.

c) Die Zuständigkeitsregelung hinsichtlich der evaluationsorientierten Mittelverteilung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Wahrnehmung der Zuständigkeit durch die Leitungsorgane ist unter anderem begrenzt durch die Struktur- und Entwicklungsplanung der Fachbereiche (§ 74 Abs. 1 Nr. 2 BbgHG), den Hochschulentwicklungsplan (§ 67 Abs. 1 Nr. 3 BbgHG), die Evaluationsergebnisse und durch das Stellungnahmerecht des Senats zum Entwurf des Haushaltsplanes (§ 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BbgHG). Eine weitere Begrenzung ergibt sich aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und aus der einfachrechtlichen Garantie der Freiheit der Forschung in § 4 Abs. 2 BbgHG. Die Möglichkeit zu wissenschaftlichem Arbeiten muss für jeden Grundrechtsträger auch bei einer Mittelverteilung auf Grund der Evaluationsergebnisse bestehen bleiben.

3. Die Vorschriften über die Besetzung des Hochschulleitungsamtes, insbesondere das Vorschlagsrecht des Landeshochschulrats für die Wahl der Hochschulleitung, sind mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar.

Da die Hochschulleitung nicht nur Selbstverwaltungsorgan ist, sondern auch staatliche Aufgaben zu erfüllen hat, ist ihre Besetzung Angelegenheit von Staat und Hochschule. Die Verantwortung des Staates wird insbesondere durch die Bestellung des vom Senat gewählten Kandidaten durch den Minister gewahrt. Der Gesetzgeber kann bei der Ausgestaltung des Hochschulwesens aber weiteren hochschulexternen Einfluss zulassen und daher auch ministerialfreie, die Unabhängigkeit der Wissenschaft vom Staat stärker sichernde Organisationsformen wählen.

Der Gesetzgeber hat die Zusammensetzung, Bestellung und Aufgaben des Landeshochschulrats in § 63 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 BbgHG ausreichend geregelt. Seine Aufgaben sind überwiegend beratender und empfehlender Natur. Darüber geht allerdings das Vorschlagsrecht für die Wahl der Hochschulleitung hinaus. Dieses Recht ist jedoch in ein Zusammenwirken von Staat und Hochschule eingebunden und durch weitere Verfahrensvorschriften beschränkt.

4. Schließlich ist auch das Vorschlagsrecht der Hochschulleitung für die Wahl der Fachbereichsleitungen mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar. Die Wahl der Fachbereichsleitung bleibt eine Aufgabe des mehrheitlich mit Hochschullehrern besetzten Fachbereichsrats, der auch die Möglichkeit zur Abwahl behält.

Karlsruhe, den 26. November 2004

Hinweis: Das Brandenburgische Hochschulgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Juli 2004 finden Sie unter Gesetz über die Hochschulen des Landes Brandenburg (Brandenburgisches Hochschulgesetz - BbgHG)