Bundesverfassungsgericht

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Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Ausschluss des Umgangsrechts in Sachen Görgülü

Pressemitteilung Nr. 55/2005 vom 23. Juni 2005

Beschluss vom 10. Juni 2005
1 BvR 2790/04

In einem zwischenzeitlich über 5 Jahre dauernden Umgangsstreit zwischen einem Vater und den Pflegeeltern seines nichtehelich geborenen Sohnes hat das Bundesverfassungsgericht erneut zugunsten des Vaters entschieden. Dessen Verfassungsbeschwerde (Vb) gegen die Entscheidung des 14. Senats des Oberlandesgerichts (OLG) Naumburg, die ihn - in Abänderung der vom Amtsgericht (AG) Wittenberg vorläufig getroffenen Umgangsregelung - von seinem Umgangsrecht ausschließt, war überwiegend erfolgreich. Das Bundesverfassungsgericht hatte in dieser Sache bereits am 28. Dezember 2004 eine einstweilige Anordnung erlassen, die dem Beschwerdeführer bis zur Entscheidung über die Vb den Umgang mit seinem Kind ermöglicht (Pressemitteilung Nr. 117/2004 vom 29.12.2004).

Die 1. Kammer des Ersten Senats stellte nun im Rahmen der Hauptsacheentscheidung fest, dass der Umgangsausschluss durch das OLG willkürlich das Recht des Bf auf den gesetzlichen Richter sowie sein Elternrecht verletzt, da das OLG zu einer Abänderung der amtsgerichtlichen Umgangsregelung nicht befugt war. Insoweit wurde der Beschluss des OLG aufgehoben. Es verbleibt damit bei der vorläufigen Umgangsregelung des AG Wittenberg.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer (Bf), der Vater eines 1999 nichtehelich geborenen, bei Pflegeeltern lebenden Kindes ist, bemüht sich seit Jahren in verschiedenen gerichtlichen Verfahren um die Übertragung des Sorgerechts und die Einräumung eines Umgangsrechts. Auf seine Individualbeschwerde stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Februar 2004 fest, dass der Ausschluss des Umgangs eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention darstelle. Dennoch versagte der 14. Senat des OLG Naumburg dem Bf die Wahrnehmung des Umgangsrechts. Nach weiteren rechtlichen Auseinandersetzungen räumte das Amtsgericht Wittenberg im Wege der einstweiligen Anordnung dem Bf ein Umgangsrecht mit seinem Sohn ein.

Der 14. Senat des OLG Naumburg änderte - im Rahmen einer zwischenzeitlich gegen das AG erhobenen Untätigkeitsbeschwerde - die einstweilige Anordnung des AG jedoch wieder ab und schloss den Umgang zwischen dem Bf und seinem Kind bis zur abschließenden Entscheidung des AG aus. Die gegen die Entscheidung des OLG erhobene Vb, der der Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht vorausging, hatte Erfolg.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Das OLG hat die Umgangsregelung des AG zum Nachteil des Bf abgeändert, ohne nachvollziehbar zu begründen, warum es dazu im Verfahren der Untätigkeitsbeschwerde befugt ist. Das mit einer Untätigkeitsbeschwerde angerufene Gericht darf ausschließlich die Untätigkeit des erstinstanzlichen Gerichts überprüfen. Bei Begründetheit der Untätigkeitsbeschwerde kann das erstinstanzliche Gericht nur angewiesen werden, dem Verfahren Fortgang zu geben. Zu einer Abänderung einer erstinstanzlichen Entscheidung, wie dies vorliegend geschehen ist, ist das Gericht dagegen nicht befugt. Außerdem hat das Gericht die Regelungen der Zivilprozessordnung umgangen, wonach eine vom AG erlassene einstweilige Anordnung zum Umgangsrecht unanfechtbar ist. Damit hat sich das OLG willkürlich vom Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt.

2. Darüber hinaus hat das Gericht das Urteil des EGMR nicht hinreichend beachtet, wonach dem Bf ein Umgang mit seinem Kind einzuräumen ist. Anstatt auf die Realisierung eines Umgangsrechts hinzuwirken, hat das OLG unter Verstoß gegen die Bindung an Gesetz und Recht ein bereits (vom AG) angeordnetes Umgangsrecht unterbunden und damit einen konventionsgemäßen Zustand aufgehoben. Zwar wäre das OLG bei der rechtlichen Würdigung nicht an die Entscheidung des EGMR gebunden gewesen. Dies kann jedoch nur bedeutsam werden, wenn das Gericht für eine Sachentscheidung zuständig war. Dies war hier aber nicht der Fall. Anzumerken ist, dass der Vortrag der Pflegeeltern, wonach die zu erwartende Adoption dem Umgang entgegenstehe, eine Abweichung von der Entscheidung des EGMR nicht rechtfertigt. Das von den Pflegeeltern bislang gezeigte Verhalten lässt vielmehr Zweifel aufkommen, ob die von ihnen gewünschte Adoption aus Kindeswohlgesichtspunkten überhaupt angezeigt wäre.

Karlsruhe, den 23. Juni 2005

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 55/2005 vom 23. Juni 2005

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