Bundesverfassungsgericht

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Anwendbarkeit des Transsexuellengesetzes auf ausländische Transsexuelle

Pressemitteilung Nr. 107/2006 vom 7. November 2006

Beschluss vom 18. Juli 2006
1 BvL 1/04

Das Transsexuellengesetz eröffnet über § 1 Abs. 1 Nr. 1 nur Deutschen und Personen mit deutschem Personalstatut (staatenlose oder heimatlose Ausländer mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland, Asylberechtigte, ausländische Flüchtlinge mit Wohnsitz im Geltungsbereich des Gesetzes) die Möglichkeit der Beantragung einer dem empfundenen Geschlecht entsprechenden Änderung des Vornamens oder der Geschlechtszugehörigkeit, nicht dagegen allen übrigen Personen mit ausländischer Nationalität. Mit diesem Ausschluss werden ausländische Transsexuelle zur Durchsetzung ihres Anliegens indirekt auf das Recht ihres Heimatstaates und eine dortige Beantragung verwiesen. Sieht das Heimatrecht jedoch keine vergleichbare Regelung vor, bleibt ihnen die Möglichkeit einer rechtlichen Anerkennung ihrer empfundenen Geschlechtszuordnung nach der derzeit geltenden Rechtslage auf Dauer verschlossen.

Auf einen Vorlagebeschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main entschied nun der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts, dass § 1 Abs. 1 Nr. 1 TSG gegen das Gleichbehandlungsgebot in Verbindung mit dem Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit verstoße, soweit er ausländische Transsexuelle, die sich rechtmäßig und nicht nur vorübergehend in Deutschland aufhalten, von der Antragsberechtigung zur Änderung des Vornamens und der Geschlechtszugehörigkeit ausnimmt, sofern deren Heimatrecht vergleichbare Regelungen nicht kennt. Dem Gesetzgeber wurde aufgegeben, bis zum 30. Juni 2007 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen. Bis dahin bleibt § 1 Abs. 1 Nr. 1 TSG anwendbar.

Den Vorlagebeschlüssen zu Grunde lagen der Fall eines thailändischen Staatsangehörigen sowie einer äthiopischen Staatsangehörigen, die sich einer operativen Geschlechtsumwandlung unterzogen und die rechtliche Anerkennung der Zugehörigkeit zum weiblichen bzw. männlichen Geschlecht beantragt hatten. Die Fachgerichte hatten die Anträge mangels Antragsberechtigung abgewiesen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Mit der Beschränkung des Personenkreises der Antragsberechtigten auf Deutsche und Personen mit deutschem Personalstatut hat der Gesetzgeber einen am Staatsangehörigkeitsprinzip ausgerichteten legitimen Zweck verfolgt. Er behält dem jeweiligen Heimatstaat der ausländischen Transsexuellen die Entscheidung über deren Namen und Geschlechtszugehörigkeit vor. Dies beruht auf dem Respekt vor den Rechtsordnungen der Staaten, denen die Betroffenen angehören.

Die ausnahmslose Verweisung ausländischer Transsexueller, die sich rechtmäßig und nicht nur vorübergehend in Deutschland aufhalten, auf das Recht des Staates, dem sie angehören, benachteiligt aber diejenigen, deren Heimatrecht vergleichbare Regelungen zur Vornamensänderung und Änderung der Geschlechtszugehörigkeit nicht kennt, gegenüber Deutschen und Personen mit deutschem Personalstatut. Diese Benachteiligung ist sachlich nicht gerechtfertigt. Die mit dem Ausschluss von Ausländern in § 1 Abs. 1 Nr. 1 TSG bezweckte uneingeschränkte Geltung des Staatsangehörigkeitsprinzips bei der Änderung des Vornamens oder der Geschlechtszugehörigkeit ist kein ausreichend gewichtiger Grund.

1. Es kann Gründe geben, die erfordern, bei bestimmten Rechtsverhältnissen vom Staatsangehörigkeitsprinzip abzuweichen. Dies gilt vor allem dann, wenn das jeweilige ausländische Recht aus der Sicht des deutschen Verfassungsrechts grundrechtsrelevante Rechte vorenthält oder Regelungen getroffen hat, deren Anwendung Grundrechte der Betroffenen beeinträchtigen. Dem trägt im deutschen Internationalen Privatrecht Art. 6 EGBGB Rechnung, der Ausdruck des ordre public ist und bestimmt, dass im Falle der Anwendung des Heimatrechts eine Regelung eines anderen Staates nicht anzuwenden ist, wenn dies zu einem Ergebnis führte, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar wäre. Damit ermöglicht diese Norm vor allem bei mit der Anwendung ausländischen Rechts verbundenen Grundrechtsverletzungen den Rückgriff auf das deutsche Recht, um solche Verletzungen zu verhindern.

2. § 1 Abs. 1 Nr. 1 TSG entzieht Ausländern von vornherein die Möglichkeit einer inhaltlichen Überprüfung ihres Begehrens durch deutsche Gerichte, denn die Norm bestimmt einerseits, dass das in § 1 und § 8 TSG enthaltene Recht Ausländern nicht zugänglich ist, und enthält andererseits auch keinen Rechtsanwendungsbefehl im Hinblick auf das jeweilige Heimatrecht der Betroffenen. Dies führt dazu, dass die Gerichte bei ausländischen Antragstellern weder die Rechte des deutschen Transsexuellengesetzes zuerkennen können noch das einschlägige ausländische Recht anzuwenden und dabei zu prüfen haben, ob die Anwendung des jeweiligen Heimatrechtes gegen den ordre public verstoßen würde. Damit wird ausgeschlossen, dass aufgrund von Art. 6 EGBGB deutsches Recht zur Anwendung kommen könnte. Die zur Prüfung gestellte Norm bewirkt damit einen absoluten Ausschluss des über Art. 6 EGBGB gewährten Grundrechtsschutzes für ausländische Transsexuelle, deren Heimatrecht eine Änderung des Vornamens oder der Geschlechtszugehörigkeit nicht kennt, mit der Folge, dass die Betroffenen einer schweren Beeinträchtigung ihres Rechts auf freie Persönlichkeitsentfaltung und Wahrung ihrer Intimsphäre ausgesetzt sind.

3. Diese Beeinträchtigung der Betroffenen lässt sich bei denen, die sich erst kurzfristig und vermutlich nur vorübergehend in Deutschland aufhalten, mit dem legitimen Anliegen des Gesetzgebers rechtfertigen, zu verhindern, dass Ausländer nur deshalb nach Deutschland einreisen, um Anträge nach dem Transsexuellengesetz stellen zu können. Für diejenigen aber, die rechtmäßig und nicht nur vorübergehend in Deutschland leben, greift dieses Anliegen nicht. Für sie bedeutet die Vorenthaltung der Rechte aus dem Transsexuellengesetz eine sie dauerhaft treffende Benachteiligung bei zugleich ständiger Beeinträchtigung ihres Persönlichkeitsrechts.