Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Rundfunkgebühren verfassungswidrig festgesetzt

Pressemitteilung Nr. 90/2007 vom 11. September 2007

Urteil vom 11. September 2007
1 BvR 2270/05

Die Verfassungsbeschwerden der ARD, des ZDF und des Deutschlandradios gegen die Festsetzung der Rundfunkgebühr für den Zeitraum 1. April 2005 bis 31. Dezember 2008 waren im Ergebnis erfolgreich. Die Gebührenfestsetzung, mit der der Gesetzgeber um 28 Cent unter der von der KEF empfohlenen Gebühr geblieben war (dies führt über den Zeitraum von vier Jahren voraussichtlich zu einer Verringerung der Erlöse der Rundfunkanstalten aus der Gebührenerhöhung um rund 440 Millionen Euro), verletzt die Rundfunkfreiheit der Beschwerdeführer. Die Gründe, auf die sich der Gesetzgeber für die Abweichung vom Gebührenvorschlag der KEF beruft, haben teilweise bereits als solche vor der Rundfunkfreiheit keinen Bestand. In anderen Teilen sind sie nicht hinreichend nachvollziehbar oder gehen sogar von offensichtlich falschen Annahmen aus. Die entsprechenden Zustimmungsgesetze und Zustimmungsbeschlüsse der Länder zu Artikel 6 Nummer 4 des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrages sind daher verfassungswidrig. Dies entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Urteil vom 11. September 2007.

Da die neue Periode schon am 1. Januar 2009 beginnt, ist es jedoch verfassungsrechtlich hinnehmbar, bis dahin von einer Neufestsetzung der Gebühr abzusehen. Allerdings muss bei der neu festzusetzenden Gebühr gewährleistet werden, dass den Anstalten ein Ausgleich gewährt wird, falls ihnen auf der Grundlage der verfassungswidrigen Festsetzung der Gebühr für die laufende Periode Mittel - etwa für nötige Investitionen - entgangen sein sollten, deren Bezug nach ihren früheren Bedarfsanmeldungen und den Feststellungen der KEF bereits in dem verstrichenen Gebührenzeitraum erforderlich war, um die künftige Erfüllung des Rundfunkauftrags sicherzustellen.

Erfolglos waren dagegen die Verfassungsbeschwerden gegen die Ergänzung der Kriterien, nach denen die KEF die Bedarfsanmeldungen der Rundfunkanstalten zu prüfen hat (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag). Die neu eingefügten Kriterien der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und der Entwicklung der Haushalte der öffentlichen Hand können verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass sie nicht als zusätzlicher Prüfungsgegenstand zu demjenigen der zutreffenden Ermittlung des Finanzbedarfs hinzutreten sollen, sondern als Hilfskriterien für dessen nähere Bestimmung zu verstehen sind.

(Zum rechtlichen Hintergrund und Sachverhalt vgl. Pressemitteilung Nr. 44/2007 vom 05.04.07)

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

A. Gebührenfestsetzung

I. Der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltene Auftrag zur Gewährleistung der Rundfunkfreiheit zielt auf eine Ordnung, die sicherstellt, dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck findet. Angesichts der herausgehobenen Bedeutung, die dem Rundfunk unter den Medien wegen seiner Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft zukommt, hat das Bundesverfassungsgericht gesetzliche Vorkehrungen zum Schutz der publizistischen Vielfalt als geboten angesehen.

Die Erforderlichkeit ausgestaltender gesetzlicher Regelungen zur Sicherung der Rundfunkfreiheit hat sich im Grundsatz durch die technologischen Neuerungen der letzten Jahre und die dadurch ermöglichte Vermehrung der Übertragungskapazitäten sowie die Entwicklung der Medienmärkte nicht geändert. Die neuen Technologien haben eine Vergrößerung und Ausdifferenzierung des Angebots und der Verbreitungsformen und -wege gebracht sowie neuartige programmbezogene Dienstleistungen ermöglicht. Dadurch haben die Wirkungsmöglichkeiten des Rundfunks zusätzliches Gewicht erhalten. Der ökonomische Wettbewerb führt nicht automatisch dazu, dass für die Unternehmen publizistische Ziele im Vordergrund stehen oder dass in den Rundfunkprogrammen die Vielfalt der in einer Gesellschaft verfügbaren Informationen, Erfahrungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster abgebildet wird. Insbesondere die Werbefinanzierung stärkt den Trend zur Massenattraktivität und zur Standardisierung des Angebots. Auch bestehen Risiken einseitiger publizistischer Betätigung und damit Einflussnahme. Gefährdungen des Vielfaltsziels entstehen zudem infolge der Entwicklung der Medienmärkte und insbesondere des erheblichen Konzentrationsdrucks im Bereich privatwirtschaftlichen Rundfunks.

Die duale Ordnung eines Nebeneinander von öffentlichrechtlichem und privatwirtschaftlichem Rundfunk trägt zur Sicherung der Breite und Vielfalt des Programmangebots bei. Während der Gesetzgeber für den privatwirtschaftlichen Rundfunk im Wesentlichen auf Marktprozesse vertraut, unterliegt der öffentlichrechtliche Rundfunk besonderen normativen Erwartungen an sein Programmangebot. Die gesetzlichen Regelungen sollen es dem öffentlichrechtlichen Rundfunk ermöglichen, seinen klassischen Funktionsauftrag zur Sicherung der Vielfalt des Angebots zu erfüllen, wobei die Entscheidung über die zur Erfüllung dieses Auftrags als nötig angesehenen Inhalte und Formen des Programms den Rundfunkanstalten zusteht. Damit der öffentlichrechtliche Rundfunk die ihm zukommende Funktion erfüllen kann, wird er vorrangig über öffentlichrechtliche Gebühren finanziert.

II. Die Festsetzung der Rundfunkgebühr muss frei von medienpolitischen Zwecksetzungen erfolgen. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 22. Februar 1994 Grundsätze aufgestellt, die weiter Bestand haben. Danach hat der Gesetzgeber sicherzustellen, dass die Gebührenfestsetzung die Rundfunkfreiheit nicht gefährdet und dazu beiträgt, dass die Rundfunkanstalten durch eine bedarfsgerechte Finanzierung ihren Funktionsauftrag erfüllen können. Der Grundsatz der Trennung zwischen der medienpolitischen Konkretisierung des Rundfunkauftrags und der Gebührenfestsetzung soll Risiken einer mittelbaren Einflussnahme auf die Wahrnehmung des Programmauftrags ausschließen und damit die Programmfreiheit der Rundfunkanstalten sichern. Um das Gebot der Trennung prozedural abzusichern, muss das Verfahren der Gebührenfestsetzung den Rundfunkanstalten unter Wahrung ihrer Programmautonomie die erforderlichen finanziellen Mittel sichern und Einflussnahmen des Staates auf die Programmgestaltung wirksam ausschließen. Dem wird ein gestuftes Verfahren der Bedarfsfeststellung am ehesten gerecht. Die erste Stufe eines solchen Verfahrens bildet die Bedarfsanmeldung der Rundfunkanstalten. Auf einer zweiten Verfahrensstufe ist im Interesse der mit der Gebühr belasteten Teilnehmer eine externe fachliche Kontrolle der Bedarfsanmeldungen durch ein sachverständig zusammengesetztes Gremium erforderlich. Die abschließende Gebührenentscheidung als dritte Stufe des Verfahrens ist auf der Grundlage der überprüften und gegebenenfalls korrigierten Bedarfsanmeldungen der Rundfunkanstalten zu treffen. Wer sie vornimmt und wie dies geschieht, ist Sache gesetzlicher Regelung.

III. Die staatsvertraglichen Regelungen über das Verfahren der Gebührenfestsetzung, auf denen die angegriffene Gebührenentscheidung beruht, sind mit diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar. Mit dem dreistufigen Verfahren aus Bedarfsanmeldung der Rundfunkanstalten, Prüfung der Anmeldung und Bedarfsfeststellung durch das politisch unabhängige Fachgremium der KEF und abschließender Festsetzung der Gebühr durch den Rundfunkgesetzgeber ist den beschriebenen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt.

IV. Nach den gesetzlichen Regelungen ist dem Gesetzgeber die abschließende Entscheidung über die Festsetzung der Gebührenhöhe vorbehalten. Diese ist auf der Grundlage des von der KEF ermittelten Finanzbedarfs zu treffen. Das schließt Abweichungen des Gesetzgebers von dem Gebührenvorschlag der KEF nicht aus. Doch kommen dafür nur Gründe in Betracht, die vor der Rundfunkfreiheit Bestand haben; programmliche und medienpolitische Zwecke scheiden in diesem Zusammenhang aus. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu in seinem Urteil vom 22. Februar 1994 ausgeführt, dass sich die zulässigen Abweichungsgründe im Wesentlichen in den beiden Gesichtspunkten der Sicherung des Informationszugangs und der angemessenen Belastung für die Gebührenzahler erschöpfen werden. Diese Abweichungsgründe sind nicht abschließend gemeint, wenn sie sich auch mit Rücksicht auf die vom Gesetzgeber zu beachtenden Grundsätze der Programmneutralität und Programmakzessorietät regelmäßig darin erschöpfen werden. Die Abweichungsbefugnis insbesondere unter dem Gesichtpunkt der angemessenen Belastung der Gebührenzahler und ihres Informationszugangs ermächtigt zur abwägenden Berücksichtigung gerade auch der wirtschaftlichen Interessen der Gebührenzahler. Außerhalb des Rundfunks liegende Faktoren wie die allgemeine wirtschaftliche Lage, die Einkommensentwicklung oder sonstige Abgabenbelastungen der Bürger darf der Gebührengesetzgeber im Rahmen der Abweichungsbefugnis berücksichtigen, soweit sie sich auf die finanzielle Belastung der Gebührzahler auswirken oder deren Zugang zur Information durch den Rundfunk gefährden.

Der fachlich ermittelte Finanzbedarf muss allerdings die Grundlage für die Festsetzung der Gebührenhöhe bleiben. Der Bedarfsfeststellung ist ein entsprechendes Gewicht beizumessen, das über das einer bloßen Entscheidungshilfe hinausreicht. Daher sind für eine Abweichung vom Gebührenvorschlag der KEF nachprüfbare Gründe anzugeben. Der Gesetzgeber hat die seine Abweichung rechtfertigenden Tatsachenannahmen nachvollziehbar zu benennen und seine daran anknüpfende Bewertung offen zu legen. Anderenfalls könnte es nicht gelingen, in Gebührenentscheidungen versteckte Eingriffe in die Programmautonomie abzuwehren.

V. Die angegriffene Gebührenfestsetzung ist nach diesen Maßstäben mit der Rundfunkfreiheit der Beschwerdeführer nicht vereinbar. Die genannten Gründe für die Abweichung vom Gebührenvorschlag der KEF genügen den Anforderungen an eine Abweichung von der Bedarfsfeststellung nicht. (Insoweit ist die Entscheidung mit 7 : 1 Stimmen ergangen.)

1. Der zuerst genannte Abweichungsgrund der Berücksichtigung der angespannten wirtschaftlichen Lage benennt zwar einen grundsätzlich zulässigen Abweichungsgesichtspunkt. Die Landesgesetzgeber sind befugt, von der Bedarfsfeststellung durch die KEF abzuweichen, um die Angemessenheit der finanziellen Belastung der Gebührenzahler jenseits der Bedarfskalkulation der KEF zu wahren und damit auch die Akzeptanz der Gebührenentscheidung bei den Betroffenen zu erleichtern. Dabei dürfen sie die allgemeine Wirtschaftslage und dadurch bedingte finanzielle Einschränkungen für die Bevölkerung berücksichtigen, wenn und soweit diese sich auf die finanzielle Belastung der Rundfunkteilnehmer auswirken. Das Vorliegen einer unangemessenen Belastung für die Gebührenzahler muss der Gesetzgeber mit hinreichend nachprüfbaren Tatsachen darlegen. Diese tatsächlichen Ausführungen könnten etwa auf die Entwicklung der Realeinkommen oder der gesamten Abgabenbelastung der Rundfunkteilnehmer und des Anteils der Rundfunkgebühr an ihnen oder auch auf die Notwendigkeit generell durchzuführender Einsparungen in den öffentlichen Haushalten bezogen sein. Im konkreten Fall kann jedoch dahingestellt bleiben, ob das Vorliegen einer unangemessenen Belastung hinreichend nachvollziehbar dargelegt worden ist. Denn der Gesetzgeber wollte allein darauf die Abweichung vom Gebührenvorschlag der KEF nicht stützen, wie die weiteren angeführten Gründe zeigen. Diese weiteren Gründe genügen ihrerseits den Anforderungen an eine Abweichung von der Bedarfsfeststellung nicht, so dass die Begründung für die Gebührenabweichung die Entscheidung der Landesgesetzgeber insgesamt nicht trägt.

2. Soweit der Gesetzgeber auf im KEF-Bericht genannte, aber nicht hinreichend erschlossene Einsparpotentiale sowie auf Einsparpotentiale durch Selbstbindungen der Anstalten verweist, genügt dieser generelle, nicht näher spezifizierte Verweis den Anforderungen an eine Abweichung nicht. Die Begründung steht im offensichtlichen Widerspruch zu den Ausführungen der KEF und der Rundfunkanstalten, ohne dass ersichtlich wird, warum diese unzutreffend sein sollen.

3. Auch der Verweis des Gebührengesetzgebers auf Einsparpotentiale, die erst durch den Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag geschaffen wurden und die deshalb nicht Gegenstand der Bedarfsfeststellung der KEF sein konnten, vermag eine Abweichung nicht zu rechtfertigen. Soweit der Gesetzgeber auf erwartete Mehreinnahmen aus Änderungen des Gebührenbefreiungsrechts verweist, ist nicht nachvollziehbar, auf welcher fachlichen Grundlage diese Bewertung erfolgt ist. Jedenfalls ist die KEF in ihrem schon wenig später erstellten 15. Bericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Neuordnung der Befreiungstatbestände voraussichtlich zu Mindereinnahmen sowie Zusatzkosten von rund 25 Millionen Euro führten. Darüber hinaus ist der KEF keine Möglichkeit einer Prüfung und gegebenenfalls Neuberechnung des Bedarfs eingeräumt worden. Soweit Einsparpotentiale aufgrund der Einstellung der analogen terrestrischen Fernsehübertragung angenommen wurden, ist aus der Begründung nicht hinreichend erkennbar, in welcher Größenordnung sie sich einstellen. Darüber hinaus ist die Besonderheit des Deutschlandradios verkannt worden, das als reiner Hörfunkveranstalter von dieser Maßnahme überhaupt nicht betroffen sein konnte.

4. Nicht tragfähig ist schließlich auch die Begründung, dass die aktuelle Gesamtentwicklung der Aufgaben im dualen Rundfunksystem und im Wettbewerb der Medien berücksichtigt werden müsse. Sofern der Gesetzgeber mit der Abweichung von dem Gebührenvorschlag das Ziel verfolgt, auf den Wettbewerb der privatwirtschaftlichen und der öffentlichrechtlichen Medien im dualen System einzuwirken, handelte es sich um eine - im Rahmen der Gebührenentscheidung unzulässige - medienpolitische Zwecksetzung.

VI. Die verfassungsrechtlichen Mängel der Gebührenfestsetzung führen nicht zur Nichtigkeit, weil der dadurch herbeigeführte Zustand dem Grundgesetz noch ferner stünde als der bisherige. Bei einer Nichtigkeit entfiele die Rechtsgrundlage für die Höhe der Rundfunkgebühr.

Eine rückwirkende Gebührenerhöhung scheidet zur Wiederherstellung eines verfassungsgemäßen Zustands aus. Denn eine möglicherweise durch das Fehlen hinreichender Mittel ausgelöste Verschlechterung des Programmangebots ließe sich angesichts der Zeitgebundenheit der Wirkungen des Rundfunks nicht schlicht durch eine entsprechende finanzielle Mehrausstattung in späteren Zeiträumen kompensieren.

Da die neue Periode schon am 1. Januar 2009 beginnt, erscheint es verfassungsrechtlich hinnehmbar, bis dahin von einer Neufestsetzung der Gebühr abzusehen. Allerdings muss bei der neu festzusetzenden Gebühr gewährleistet werden, dass den Anstalten ein Ausgleich gewährt wird, falls ihnen auf der Grundlage der verfassungswidrigen Festsetzung der Gebühr für die laufende Periode Mittel - etwa für nötige Investitionen - entgangen sein sollten, deren Bezug nach ihren früheren Bedarfsanmeldungen und den Feststellungen der KEF bereits in dem verstrichenen Gebührenzeitraum erforderlich war, um die künftige Erfüllung des Rundfunkauftrags sicherzustellen.

B. Prüfungskriterien für Bedarfsanmeldungen

Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen die Ergänzung der Kriterien wenden, nach denen die KEF die Bedarfsanmeldungen der Rundfunkanstalten zu prüfen hat, sind sie unbegründet. Die neu eingefügten Kriterien der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und der Entwicklung der Haushalte der öffentlichen Hand können verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass sie nicht als zusätzlicher Prüfungsgegenstand zu demjenigen der zutreffenden Ermittlung des Finanzbedarfs hinzutreten sollen, sondern als Hilfskriterien für dessen nähere Bestimmung zu verstehen sind. Der Gesetzgeber wollte die bisherige fachlich orientierte Praxis der KEF bestärken, nicht hingegen ihr politische Entscheidungsspielräume in einer für die Rundfunkfreiheit wesentlichen Frage einräumen.