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Zur Lehrfreiheit eines Fachhochschulprofessors

Pressemitteilung Nr. 53/2010 vom 27. Juli 2010

Beschluss vom 13. April 2010
1 BvR 216/07

Der Beschwerdeführer ist Diplom-Ingenieur für Vermessungswesen und seit 1996 Professor für Vermessungskunde des Fachbereichs Bauingenieurwesen der Hochschule Wismar. Im Dezember 2005 wies der Rektor der Hochschule den Beschwerdeführer unter Anordnung der sofortigen Vollziehung an, ab dem Sommersemester 2006 im Bachelorstudiengang Bauingenieurwesen Lehrveranstaltungen auch im Grundlagenfach Darstellende Geometrie durchzuführen. Zuvor war ein entsprechender Beschluss des Fachbereichsrats ergangen. Der Antrag des Beschwerdeführers, ihm vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anweisung des Rektors zu gewähren, weil die Darstellende Geometrie nicht zum Fach Vermessungskunde gehöre, blieb vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht ohne Erfolg.

Die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde, mit welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Grundrechts auf Wissenschaftsfreiheit rügt, hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts zurückgewiesen. Zwar können sich auch Fachhochschullehrer, denen - wie dem Beschwerdeführer - die eigenständige Vertretung eines wissenschaftlichen Fachs in Forschung und Lehre übertragen worden ist, auf die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre berufen (Art. 5 Abs. 3 GG). Die Verwaltungsgerichte haben jedoch die Grundrechtsposition des Beschwerdeführers im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes noch hinreichend berücksichtigt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit gewährt Hochschullehrern in seinem Kerngehalt den vorbehaltlos geschützten Freiraum, ihr Fach in Forschung und Lehre zu vertreten. Auf dieses Recht können sich nicht nur Universitätsprofessoren, sondern regelmäßig auch Hochschullehrer an einer Fachhochschule berufen. Denn die wesentlichen Aufgaben und Ausbildungsziele werden für alle Hochschularten einheitlich normiert. Das Hochschulrahmengesetz und die Landeshochschulgesetze unterscheiden grundsätzlich nicht mehr zwischen solchen Regelungen, die allein für Universitäten Geltung beanspruchen, und solchen Regelungen, die für andere Hochschularten gelten. Die Landeshochschulgesetze gestatten den Fachhochschulen nicht lediglich zu forschen, Forschung wird ihnen vielmehr als Aufgabe, teilweise sogar ohne funktionale Bindung an ihren Ausbildungsauftrag, ausdrücklich zugewiesen. Andererseits stellt sich die Ausbildung als zentrale Aufgabe auch der Universitäten dar, ohne dass dadurch der Wissenschaftscharakter der Lehre an Universitäten in Frage gestellt würde. Wie bei Universitäten kann es auch Aufgabe einer Fachhochschule und der in ihr tätigen Professoren sein, ihren Studierenden im Rahmen der Ausbildungsaufgaben wissenschaftliche Erkenntnisse und wissenschaftliche Methoden zu vermitteln. Sowohl an Universitäten wie an Fachhochschulen sind Unterrichtstätigkeiten, die eine bloße Wissensvermittlung darstellen, und die Weitergabe eigener und fremder Forschungsergebnisse zumeist untrennbar miteinander verknüpft.

Anweisungen hinsichtlich der Lehre gegenüber einem als selbständigen Wissenschaftler bestellten Hochschullehrer berühren dessen Recht, sein Fach in Forschung und Lehre zu vertreten, und damit seine in Art. 5 Abs. 3 GG geschützte Wissenschaftsfreiheit. Da die Lehre zu den dienstlichen Pflichten der Hochschulprofessoren gehört, sind jedoch Entscheidungen der zuständigen Hochschulorgane über die inhaltliche, zeitliche und örtliche Koordination der von der Hochschule anzubietenden Lehre und über die Verteilung und Übernahme von Lehrverpflichtungen grundsätzlich zulässig. Andererseits würde eine unbeschränkte Möglichkeit für die Hochschulorgane, dem Hochschullehrer fachfremden Unterricht abzuverlangen, dessen durch die Lehre des eigenen Faches bestimmter Lehrfreiheit nicht mehr gerecht.

Die im vorliegenden Fall streitige Frage, ob die Grenzen der Zuweisung fachfremder Lehre tatsächlich überschritten sind, ist durch die Verwaltungsgerichte im Hauptsacheverfahren zu klären. Im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes haben die Verwaltungsgerichte das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 3 GG noch ausreichend berücksichtigt. Deren Annahme, dass der Beschwerdeführer zur Übernahme der ihm übertragenen Lehrveranstaltung im Fachbereich Darstellende Geometrie verpflichtet sei, weil diese als Grundlagenfach der Vermessungskunde zu bewerten sei, stützt sich auf eine hinreichende Aufklärung. Dabei ist nicht nur der Text der damaligen Ausschreibung der Professorenstelle berücksichtigt worden, wonach die Vermessungskunde ganzheitlich im Studiengang Bauingenieurwesen vermittelt werden sollte; das Gericht hat auch die Auskünfte anderer Hochschulen zur Frage, was Gegenstand vergleichbarer Studiengänge ist, einbezogen. Im Rahmen der Folgenabwägung durfte es ferner auf das Recht und die Pflicht des Fachbereichs abstellen, durch die Koordination der Lehre die eigene Funktionsfähigkeit zu erhalten. Außerdem konnte das Gericht aus der erklärten Bereitschaft des Beschwerdeführers, Vorlesungen in der Darstellenden Geometrie zu übernehmen, wenn seine Besoldung angehoben würde, entnehmen, dass eine entsprechende Übernahme bis zur Entscheidung in der Hauptsache jedenfalls nicht unzumutbar ist.