Bundesverfassungsgericht

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§§ 90 und 91 des Hamburgischen Hochschulgesetzes teilweise verfassungswidrig

Pressemitteilung Nr. 113/2010 vom 7. Dezember 2010

Beschluss vom 20. Juli 2010
1 BvR 748/06

Der Beschwerdeführer ist Universitätsprofessor an der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Hamburg. Seine Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die §§ 90, 91 des Hamburgischen Hochschulgesetzes (HmbHG), die das Binnenverhältnis der Hochschulorgane auf Fakultätsebene regeln. Während § 90 HmbHG die Rechtsstellung und Aufgaben des Dekanats normiert, regelt § 91 HmbHG die Stellung und Aufgaben des Fakultätsrats. Beide Vorschriften sind in der Vergangenheit zunehmend zu Lasten des Fakultätsrats geändert worden.

Der Beschwerdeführer macht geltend, durch diese Vorschriften in seiner Wissenschaftsfreiheit verletzt zu sein, da ihm kollegial-repräsentative Mitbestimmungsbefugnisse vorenthalten würden. § 90 HmbHG bündele nahezu alle grundlegenden wissenschaftsrelevanten Kompetenzen beim Dekanat. Der Fakultätsrat habe demgegenüber keine hinreichenden Entscheidungs-, Kontroll- oder Sanktionsbefugnisse. Die ungleiche Kompetenzverteilung zeige sich insbesondere in den Regelungen über das Berufungsverfahren und über die Amtsstellung des Dekans sowie über dessen Wahl und Abwahl.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass § 90 Abs. 1 Satz 3, Abs. 4 Satz 2 und 3 sowie Abs. 5 Nr. 1, Nr. 2 1. Alternative und Nr. 7, § 91 Abs. 2 des Hamburgischen Hochschulgesetzes vom 18. Juli 2001 (HmbGVBl S. 171; zuletzt geändert durch das Gesetz zur Verbesserung des Hochschulzugangs für beruflich Qualifizierte und des Bachelor-Master-Studiensystems vom 6. Juli 2010, HmbGVBl S. 473) mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar sind. Diese Regelungen über Bestellung und Kompetenzen des Dekanats werden in ihrem Zusammenwirken den Anforderungen der Wissenschaftsfreiheit nicht gerecht.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Soweit die gegen die §§ 90, 91 HmbHG insgesamt gerichtete Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie teilweise begründet. Die in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG normierte Wissenschaftsfreiheit fordert, die Hochschulorganisation und damit auch die hochschulorganisatorische Willensbildung so zu regeln, dass in der Hochschule freie Wissenschaft ungefährdet betrieben werden kann. Die Teilhabe der Wissenschaftler als Grundrechtsträger an der Organisation des Wissenschaftsbetriebs dient dem Schutz vor wissenschaftsinadäquaten Entscheidungen und ist daher grundrechtlich garantiert, soweit ihre Freiheit, zu forschen und zu lehren durch hochschulorganisatorische Entscheidungen gefährdet werden kann. Daher verlangt die Sicherung der Wissenschaftsfreiheit durch organisatorische Regelungen, dass die Träger der Wissenschaftsfreiheit sich durch ihre Vertreter in Hochschulorganen gegen Gefährdungen der Wissenschaftsfreiheit wehren und ihre fachliche Kompetenz zur Verwirklichung der Wissenschaftsfreiheit in die Universität einbringen können. Der Gesetzgeber muss ein hinreichendes Niveau der Partizipation der Grundrechtsträger gewährleisten. Zur Klärung der Frage, ob eine Regelung Strukturen schafft, die sich gefährdend auswirken können, sind nicht die zugewiesenen Kompetenzen im Einzelnen maßgebend, sondern das Gesamtgefüge der Hochschulverfassung. Dieses kann insbesondere dann verfassungswidrig sein, wenn dem Leitungsorgan substantielle personelle und sachliche Entscheidungsbefugnisse im wissenschaftsrelevanten Bereich zugewiesen werden, dem mit Hochschullehrern besetzten Gremium im Verhältnis hierzu jedoch kaum Kompetenzen und auch keine maßgeblichen Mitwirkungs- und Kontrollrechte verbleiben. Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben genügen die angegriffenen Regelungen nicht in vollem Umfang.

1. Verfassungsrechtlich unbedenklich sind solche Kompetenzen des Dekanats, bei denen dieses in weitem Umfang rechtliche Vorgaben und Beschlüsse von Kollegialorganen vollzieht.

So ist es nicht zu beanstanden, dass dem Dekanat nach § 90 Abs. 5 Nr. 3 HmbHG die Aufgabe zukommt, dem Präsidium der Hochschule Vorschläge für die leistungsorientierte Verteilung von Leistungsbezügen an Professoren zu unterbreiten. Denn die Vorschläge entfalten keine bindende Wirkung. Zudem ist diese Kompetenz durch eine differenzierte Regelung bezüglich der Vergabekriterien sowie der Höhe der Leistungsbezüge und des Vergaberahmens beschränkt.

Ferner begegnet die in § 90 Abs. 5 Nr. 4 HmbHG normierte Kompetenz des Dekanats zur Entscheidung über Lehrverpflichtungen ebenfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, weil sie von anderen Bestimmungen des Hamburgischen Hochschulgesetzes wissenschaftssichernd begleitet wird. Die aufgrund der Kompetenz getroffenen Entscheidungen müssen sich an die das Dienstverhältnis des Hochschullehrers konstituierenden Regelungen halten. Zudem ist sichergestellt, dass die Kompetenz in erster Linie der Organisation des Lehrbetriebs und der Koordination des Lehrangebots dient und nicht dazu genutzt werden darf, die Freiheit von Forschung oder Lehre zu beeinträchtigen.

Schließlich verstößt auch die in § 90 Abs. 5 Nr. 2 2. Alternative HmbHG geregelte Kompetenz des Dekanats, über die vom Berufungsausschuss vorgelegten Berufungsvorschläge zu beschließen, bei verfassungskonformer Auslegung nicht gegen die Wissenschaftsfreiheit. Der Fakultätsrat, in dem die Gruppe der Hochschullehrer über die absolute Mehrheit der Sitze und Stimmen verfügt, hat es selbst in der Hand, in der von ihm zu beschließenden Fakultätssatzung zu bestimmen, dass die die Berufungsvorschläge vorbereitenden Berufungsausschüsse vom Fakultätsrat und nicht vom Dekanat eingesetzt werden. Das Dekanat entscheidet zwar über die Berufungsvorschläge, ohne formal an den vom Berufungsausschuss aufgestellten Berufungsvorschlag gebunden zu sein; es wird jedoch bei verfassungskonformer Auslegung nur in besonderen Ausnahmefällen vom Vorschlag des Berufungsausschusses abweichen dürfen. Zudem hat das Hochschulpräsidium bei seiner endgültigen Entscheidung nicht nur den Dekanatsvorschlag, sondern auch das Votum des Berufungsausschusses zu berücksichtigen.

2. Demgegenüber sind die Kompetenzen des Dekanats, die der Fakultät vom Präsidium zugewiesenen Haushaltsmittel zu bewirtschaften und über die Zuordnung von Stellen innerhalb der Fakultät zu entscheiden (§ 90 Abs. 5 Nr. 1 HmbHG) sowie die zukünftige Verwendung der Stelle bei freien oder frei werdenden Professuren und Juniorprofessuren auf der Grundlage des Struktur- und Entwicklungsplans der Hochschule zu überprüfen (§ 90 Abs. 5 Nr. 2 1. Alternative HmbHG), in Verbindung mit der subsidiären Auffangzuständigkeit des Dekanats nach § 90 Abs. 5 Nr. 7 HmbHG nicht mit der Wissenschaftsfreiheit vereinbar.

Dem Dekanat werden in diesen Bereichen weitreichende Steuerungsmöglichkeiten zugewiesenen, die nicht hinreichend durch Mitwirkungs-, Einfluss-, Informations- und Kontrollrechte des Fakultätsrats als kollegialem Vertretungsorgan der Grundrechtsträger in den §§ 90, 91 HmbHG kompensiert werden.

So fehlt dem Fakultätsrat ein Recht zur Mitwirkung an der Struktur- und Entwicklungsplanung, die die Grundlage zur Überprüfung der Stellenverwendung bildet. Es ist gesetzlich nicht vorgesehen, dass der Struktur- und Entwicklungsplan der Hochschule aus den Fachbereichen heraus entwickelt wird. Dieser wird vielmehr vom Hochschulrat beschlossen, in dem der Einfluss der Hochschullehrer stark begrenzt ist. Die einzelne Fakultät hat nach Maßgabe des § 91 Abs. 2 HmbHG rechtlich keine Möglichkeit, auf die Gestaltung des Struktur- und Entwicklungsplans einzuwirken.

Die Kontrollmöglichkeit des Fakultätsrats ist lediglich auf eine nicht näher konkretisierte "Kontrolle des Dekanats" sowie ein Recht zur "Stellungnahme zu allen Angelegenheiten der Fakultät" begrenzt. Selbst ein die sinnvolle und wirksame Ausübung dieses Kontrollrechts ermöglichendes umfassendes Informationsrecht gegenüber dem Dekanat steht ihm nach § 91 Abs. 2 HmbHG nicht zu.

Dieses Ungleichgewicht im Verhältnis von Leitungsorgan und Kollegialorgan wird auch nicht durch die Möglichkeit einer wirkungsvollen Einflussnahme auf die Zusammensetzung des Dekanats ausgeglichen. Der Fakultätsrat hat nach dem Hamburgischen Hochschulgesetz nur ein beschränktes Mitwirkungsrecht bei der Wahl des Dekans (§ 90 Abs. 1 Satz 3 HmbHG). Der Fakultätsrat hat den vom Präsidium ausgewählten Dekan, der nicht einmal Mitglied der Hochschule gewesen sein muss, lediglich zu bestätigen. Zwar ist durch das Bestätigungsrecht sichergestellt, dass niemand gegen den Willen des Fakultätsrats zum Dekan bestellt werden kann. Die Regelung begegnet aber dann Bedenken, wenn das Wahlrecht des Fakultätsrats für dieses Kollegialorgan ein notwendiges Kontrollinstrument ist, weil ihm im Übrigen zugunsten des Leitungsorgans nahezu alle wesentlichen Kompetenzen entzogen sind.

Die Verfassungswidrigkeit des durch die §§ 90, 91 HmbHG konstituierten hochschulorganisatorischen Gesamtgefüges ergibt sich jedenfalls aus den unzureichenden Rechten des Fakultätsrats bezüglich der Abwahl des Dekans. Dem Fakultätsrat kommt lediglich das Recht zu, mit einer Mehrheit von drei Vierteln seiner Mitglieder dem Präsidium die Abwahl des Dekans vorzuschlagen (§ 90 Abs. 4 Satz 3 HmbHG), und ist nicht selbst befugt, über die Abwahl zu entscheiden (§ 90 Abs. 4 Satz 2 HmbHG). An seinen Vorschlag ist das Präsidium auch nicht gebunden, so dass der Fakultätsrat keine Möglichkeit hat, sich selbstbestimmt von einem Dekan zu trennen, der nicht mehr als Leitungsorgan akzeptiert wird. Das ist deshalb im hochschulorganisatorischen Gesamtgefüge besonders schwerwiegend, weil der Fakultätsrat nach dem Hamburgischen Hochschulgesetz auch nicht über andere Einfluss-, Kontroll-, Veto- und Informationsrechte verfügt, so dass das Fehlen einer Befugnis zur Abwahl des Dekans eine Kontrolle des Dekanats durch den Fakultätsrat faktisch unmöglich macht.