Bundesverfassungsgericht

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Mündliche Verhandlung in Sachen „Braunkohletagebau Garzweiler“

Pressemitteilung Nr. 20/2013 vom 3. April 2013

1 BvR 3139/08
1 BvR 3386/08

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am

Dienstag, 4. Juni 2013, 10.00 Uhr,
im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts,
Amtssitz "Waldstadt",
Rintheimer Querallee 11, 76131 Karlsruhe

über zwei Verfassungsbeschwerden, mit denen sich die Beschwerdeführer gegen verwaltungsbehördliche und -gerichtliche Entscheidungen im Zusammenhang mit der Realisierung des Braunkohletagebauvorhabens "Garzweiler" (Nordrhein-Westfalen) wenden.

1. In Deutschland erfolgt der Abbau von Braunkohle in großflächigen Tagebauen. Für die ökonomisch sinnvolle Realisierung von Braunkohletagebauvorhaben werden regelmäßig die Inanspruchnahme besiedelter Flächen und damit auch die Umsiedlung ganzer Ortschaften für notwendig gehalten.

Dem Abbau von Braunkohle liegen landesplanungsrechtliche und bundesbergrechtliche Entscheidungen zugrunde. Auf der Ebene der Raumordnung wird der Braunkohletagebau in Nordrhein-Westfalen durch sogenannte Braunkohlenpläne planerisch vorbereitet. Dem Bergbauunternehmen wird der Abbau erst durch einen sogenannten Hauptbetriebsplan gestattet, der auf der Grundlage des Bundesberggesetzes genehmigt wird; ein solcher bezieht sich regelmäßig auf einen Zeitraum, der zwei Jahre nicht überschreitet. Für die auf wesentlich längere Zeiträume angelegten Gesamtvorhaben sind sogenannte Rahmenbetriebspläne durch das Bergbauunternehmen aufzustellen und von der zuständigen Behörde zu genehmigen.

Der Inanspruchnahme der Flächen durch das Bergbauunternehmen liegt in der Praxis weitestgehend eine Vereinbarung des Unternehmens mit dem Grundeigentümer zugrunde. Für den Fall der Notwendigkeit der zwangsweisen Inanspruchnahme eines Grundstücks sieht das Bergrecht aber auch die Möglichkeit einer Enteignung zugunsten des Bergbauunternehmens vor (sogenannte Grundabtretung).

Der Braunkohletagebau Garzweiler ist benannt nach dem ehemaligen Ortsteil Garzweiler der Gemeinde Jüchen. Für das Vorhaben sind insbesondere zwei Braunkohlenpläne aufgestellt worden: der Braunkohlenplan Frimmersdorf (Garzweiler I) im Jahr 1984 und der Braunkohlenplan Garzweiler II im Jahr 1995. Letzterer erstreckt sich auf einen Abbaubereich von 4.800 Hektar mit einem Kohlevorrat von 1,3 Milliarden Tonnen.

2. Der Beschwerdeführer des Verfahrens 1 BvR 3139/08 ist Eigentümer eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks im Ortsteil Immerath der Stadt Erkelenz. Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist der durch das damalige Bergamt Düren am 22. Dezember 1997 zugelassene "Rahmenbetriebsplan für den Tagebau Garzweiler I/II vom 5.10.1987 mit Änderungen und Ergänzungen vom 31.08.1995 für den Zeitraum 2001 bis 2045", dessen Plangebiet sich auf Immerath erstreckt. Die hiergegen gerichtete Klage des Beschwerdeführers blieb vor den Verwaltungsgerichten erfolglos (vgl. die Pressemitteilung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. Dezember 2007 sowie den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. September 2008 - BVerwG 7 B 20.08 -).

Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer insbesondere eine Verletzung seines Grundrechts auf Freizügigkeit aus Art. 11 GG geltend. Dieses umfasse auch das Recht, den bisherigen Aufenthalt beizubehalten, sowie - darüber hinausgehend - ein "Recht auf Heimat". Mit der Zulassung des Rahmenbetriebsplans werde gegenüber den im betroffenen Gebiet lebenden Menschen die Aussage getroffen, dass dem Vorhaben einschließlich der Inanspruchnahme ihres Ortes und ihrer Häuser keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegenstünden. Für die Menschen bedeute dies ein Leben in der Erwartung, "dass die Bagger kommen". Verfassungsrechtlich gerechtfertigt werde der somit anzunehmende Eingriff in das Grundrecht auf Freizügigkeit weder durch die in Art. 11 Abs. 2 GG aufgezählten Gründe noch durch verfassungsimmanente Schranken.

3. Beschwerdeführer des Verfahrens 1 BvR 3386/08 ist der Landesverband Nordrhein-Westfalen des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND). Er erwarb im Jahr 1998 das Eigentum an einem Grundstück der Gemarkung Hochneukirchen. Das knapp ein Hektar große Grundstück liegt innerhalb der Abbaufläche des mit dem Bescheid vom 22. Dezember 1997 zugelassenen Rahmenbetriebsplans für den Tagebau Garzweiler I/II. Der Beschwerdeführer bepflanzte das Grundstück im Rahmen der Aktion "Zukunft statt Braunkohle - BUND-Obstwiese gegen Garzweiler" mit verschiedenen Obstbäumen.

Mit dem auf die §§ 77 und 79 des Bundesberggesetzes (BBergG) gestützten Grundabtretungsbeschluss vom 9. Juni 2005 entzog die Bezirksregierung Arnsberg dem Beschwerdeführer das Eigentum an dem Grundstück. Die Klage des Beschwerdeführers gegen den Grundabtretungsbeschluss blieb in allen Instanzen erfolglos (vgl. die Pressemitteilung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. Dezember 2007 sowie den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Oktober 2008 - BVerwG 7 B 21.08 -). Das Grundstück ist zwischenzeitlich für den Braunkohleabbau in Anspruch genommen worden.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer insbesondere eine Verletzung seines Grundrechts auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG geltend. Er ist der Auffassung, die Vorschriften über die bergrechtliche Grundabtretung (§§ 77 und 79 BBergG) seien verfassungswidrig. Wenn ein Bergbauunternehmen beabsichtige, ein Grundstück in Anspruch zu nehmen, bestehe für den betroffenen Grundeigentümer praktisch keine Möglichkeit, sein Eigentumsgrundrecht entgegenzuhalten. Die §§ 77 und 79 BBergG ließen eine Enteignung unabhängig von einem volkswirtschaftlichen Nutzen oder einem tatsächlichen Bedarf zu.

Der Beschwerdeführer meint weiterhin, selbst im Fall der Vereinbarkeit dieser Vorschriften mit dem Grundgesetz seien der Grundabtretungsbeschluss und die ihn bestätigenden gerichtlichen Entscheidungen verfassungswidrig. Der in diesen Entscheidungen angelegte Prüfungsmaßstab entspreche nicht dem, der sich aus Art. 14 Abs. 3 GG für die Zulässigkeit einer Enteignung ergebe. Grundvoraussetzung einer Enteignung sei, dass diese für ein dringendes, nicht auf andere Weise zu befriedigendes öffentliches Interesse erforderlich sei. Die Grundabtretung wäre deshalb nur zulässig gewesen, wenn die Förderung gerade derjenigen Menge an Braunkohle, die im Falle einer Verschonung seines Grundstücks nicht zur Verstromung verwandt worden wäre, zur Gewährleistung einer sicheren, preisgünstigen und umweltverträglichen Energieversorgung erforderlich gewesen wäre. Insbesondere das Oberverwaltungsgericht habe hingegen lediglich verlangt, dass das Vorhaben Garzweiler einen erheblichen Beitrag zur Energieversorgung im Bundesgebiet leiste und auf absehbare Zeit leisten werde. Das Bundesverwaltungsgericht habe den Grundrechtsverstoß manifestiert.

4. In der mündlichen Verhandlung wird der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts vor allem die Schutzwirkungen des Grundrechts auf Freizügigkeit (Art. 11 GG) im Zusammenhang mit großflächigen Tagebauvorhaben sowie die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Zulässigkeit einer Enteignung (Art. 14 Abs. 3 GG) erörtern.

Dabei wird auch zur Diskussion stehen, inwieweit es bei der Prüfung des angegriffenen Rahmenbetriebsplans und des Grundabtretungsbeschlusses auch auf die Legitimität, Abgewogenheit oder Rechtmäßigkeit des Braunkohletagebaus Garzweiler in dem streitentscheidenden Zeitraum zwischen 1997 und 2005 ankommt.

Die Verhandlungsgliederung finden Sie im Anhang an diese Pressemitteilung.

Hinweis

Interessierte Bürgerinnen und Bürger, die an der mündlichen Verhandlung teilnehmen wollen, wenden sich bitte schriftlich oder telefonisch an

Herrn Oberamtsrat Stadtler
Postfach 1771, 76006 Karlsruhe
Telefon: 0721 9101-400
Fax: 0721 9101-461

Bei der Anmeldung sind Name, Vorname, Geburtsdatum und eine Telefon- oder Faxnummer anzugeben.

Verhandlungsgliederung

A. Allgemeines
    I. Formalien und Sachbericht
   II. Eingangsstatements
B. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden 
C. Tatsächliche Grundlagen 
   I. Bedeutung der Braunkohlegewinnung für die Energieversorgung (als Gemeinwohlgrund 1997 - 2005: allgemein; im rheinischen Kohlerevier; Tagebau Garzweiler)
   II. Belastungen durch den Tagebau Garzweiler, insbesondere Umsiedlungen
D. Verfahren (gesetzliche Ausgestaltung und praktische Umsetzung)
   - Braunkohlenplanung
- Zulassung von Gewinnungsbetrieben
- Grundabtretung
E. Grundrecht auf Freizügigkeit 
F. Eigentum und Enteignung 
   - Verfassungsmäßigkeit einer Enteignung (Maßstab)
- Verfassungsmäßigkeit von §§ 77, 79 BBergG
- Verfassungsmäßigkeit der Grundabtretung

Akkreditierungshinweise für die mündliche Verhandlung am 4. Juni 2013

Akkreditierung

Alle Medienvertreter haben sich schriftlich bis spätestens 29. Mai 2013, 12.00 Uhr, unter Bekanntgabe der E-Mail-Adresse zu akkreditieren (Fax Nr. 0721 9101-461). Die Anträge werden in der Reihenfolge des Eingangs berücksichtigt. Akkreditierungen, die nach Ablauf der Frist bzw. per E-Mail eingehen, werden nicht berücksichtigt. Nach Ablauf der Akkreditierungsfrist wird eine Bestätigung per E-Mail versandt.

Allgemeines

Für Medienvertreter stehen auf der Presseempore insgesamt 42 Sitzplätze zur Verfügung. Davon sind 11 Plätze für die Mitglieder der Justizpressekonferenz reserviert. Soweit Medienvertreter auf der Presseempore keinen Platz haben, müssen sie sich nach der Feststellung der Anwesenheit der Beteiligten in den dafür vorgesehenen Presseraum begeben. Der weitere Aufenthalt vor dem Sitzungssaal ist nicht gestattet.

Im Presseraum findet eine Tonübertragung aus dem Sitzungssaal statt. Hier stehen 26 Sitzplätze zur Verfügung. 230 V-Anschlüsse für Laptops sowie ein analoger Telefonanschluss sind vorhanden.

Das Telefonieren, Twittern und sonstige Versenden von Kurznachrichten, das digitale Abrufen von Daten sowie jegliche Nutzung des Internets im bzw. aus dem Sitzungssaal sind nicht gestattet. Alle für diese Zwecke nutzbaren elektronischen Geräte, insbesondere Mobiltelefone, Laptops und iPads, dürfen im Sitzungssaal nicht verwendet werden. Medienvertretern kann die Nutzung von Laptops im Offline-Betrieb gestattet werden, soweit sichergestellt ist, dass mit den Geräten weder Ton- und Bildaufnahmen sowie Datenübermittlungen durchgeführt werden.

Foto- und Fernsehaufnahmen

1. Foto-, Film-, und Tonaufnahmen sind zulässig bis zum Abschluss der Feststellung der Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten durch den Vorsitzenden des Senats. Danach haben Fotografen und Kamerateams den Sitzungssaal einschließlich der Presseempore zu verlassen. Zum Aufenthalt stehen die Pressenischen vor dem Sitzungssaalbereich sowie ein Medienvertreterraum zur Verfügung.

Für Foto- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal werden zwei Fernsehteams (ein öffentlich-rechtlicher und ein privat-rechtlicher Sender mit jeweils maximal drei Kameras) sowie sechs Fotografen (vier Agenturfotografen und zwei freie Fotografen) zugelassen (Pool-Bildung).

Die Platzvergabe für die Poolführerschaft erfolgt nach der Reihenfolge des Fax-Eingangs. Die Bestimmung der "Pool-Mitglieder" bleibt den Fernsehsendern bzw. den Agenturen und Fotografen selbst überlassen.

Die "Pool-Mitglieder" verpflichten sich auf entsprechende Aufforderung hin, gefertigte Film und Fotoaufnahmen anderen Rundfunk- und TV-Anstalten sowie Fotoagenturen zur Verfügung zu stellen.

2. Bei Foto- und Filmaufnahmen im Sitzungssaal darf durch Fotografen, Kameraleute und sonstige Medienvertreter das freie Blickfeld des Senats nach allen Seiten nicht verstellt werden. Der Aufenthalt hinter der Richterbank ist nicht gestattet. Entsprechenden Anweisungen der Sitzungsamtsmeister sind Folge zu leisten. Foto- und Filmaufnahmen sind ausschließlich mit geräuschlosen Apparaten ohne Blitzlicht gestattet.

3. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung sowie in der Mittagspause sind Interviews sowie Fernseh- und Fotoaufnahmen mit Verfahrensbeteiligten oder sonstigen Personen im Sitzungssaal lediglich für den Zeitraum von 20 Minuten zugelassen. Für weitere Aufnahmen stehen die Pressenischen vor dem Sitzungssaalbereich zur Verfügung.

Fahrzeuge der Radio- und Fernsehteams sowie Techniker

Für SNG-, Schnitt- und Übertragungsfahrzeuge steht nur eine begrenzte Anzahl von Standplätzen zur Verfügung.

Falls Standplätze benötigt werden, ist deren Anzahl bereits bei der Akkreditierung mit anzugeben. Die Standplätze werden nach Eingang des Antrags vergeben.

Für die Zuweisung der Standplätze werden folgende Angaben benötigt:

Kennzeichen, Fahrzeug-Typ, Fabrikat, Abmessungen (LxBxH in m), Gewicht und evtl. Bedarf an Strom, der über das Bundesverfassungsgericht bezogen werden soll. Ebenso sind Namen, Geburtsdatum und Personalausweisnummer der entsprechenden Techniker mitzuteilen.

Namen und Fahrzeugdaten der Teams sind bis spätestens 12.00 Uhr am Vortag der mündlichen Verhandlung per Fax zu übersenden (Fax Nr. 0721/9101-461). Nach Fristablauf oder per E-Mail eingegangene Daten werden nicht berücksichtigt.

==> Die entsprechenden Formulare zur Akkreditierung der Radio- und Fernsehteams sowie der Fahrzeuge finden sie als pdf-Datei auf der Homepage des Bundesverfassungsgerichts unter www.bundesverfassungsgericht.de.

Anfahrt und Aufbau sind am Vortag der mündlichen Verhandlung von 9:00 bis 18:00 Uhr sowie am Tag der mündlichen Verhandlung zwischen 7:00 und 9:00 Uhr möglich.

Aufbau von Studios

Der Aufbau von Studios ist in Absprache mit der Pressestelle ausschließlich in den Pressenischen möglich.

Diese Hinweise finden ihre Grundlage in § 17a BVerfGG in Verbindung mit den ergänzenden Regelungen des Ersten und Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts.