Bundesverfassungsgericht

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Ergänzende Informationen und Verhandlungsgliederung in Sachen „BKA-Gesetz“

Pressemitteilung Nr. 43/2015 vom 16. Juni 2015

Az. 1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09

Wie bereits angekündigt, verhandelt der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts am Dienstag, 7. Juli 2015, um 10.00 Uhr über Verfassungsbeschwerden gegen Bestimmungen des Bundeskriminalamtgesetzes (vgl. hierzu die Pressemitteilung Nr. 41/2015 vom 12. Juni 2015).

1. Die Verfassungsbeschwerden richten sich vornehmlich gegen Regelungen des Unterabschnittes 3a, die mit dem Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt vom 25. Dezember 2008 (BGBl I S. 3083) eingefügt wurden. Sie ermächtigen das Bundeskriminalamt zu verdeckten Maßnahmen wie längerfristige Observation, akustische wie optische Wohnraumüberwachung, Onlinedurchsuchung und Telekommunikationsüberwachung sowie zur zweckändernden Verwendung vorhandener Daten und zu ihrer Übermittlung an andere Behörden und ins Ausland. Der Bundesgesetzgeber hat sich für den Erlass dieser Normen auf seine Kompetenz für die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt (Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG) gestützt, die im Rahmen der Föderalismusreform I neu geschaffenen worden ist.

2. Zu den angegriffenen Vorschriften im Einzelnen:

  • § 20g BKAG ermächtigt das Bundeskriminalamt zu besonderen Mitteln der Überwachung wie längerfristige Observation, Anfertigung von Bildaufnahmen oder dem Abhören von außerhalb von Wohnungen geführten Gesprächen sowie den Einsatz von Vertrauenspersonen und verdeckten Ermittlern.
  • Durch § 20h BKAG wird die optische und akustische Wohnraumüberwachung („Lauschangriff“) ermöglicht.
  • § 20k BKAG ist die Rechtsgrundlage für den Zugriff auf informationstechnische Systeme wie beispielsweise den Zugriff auf eine Computerfestplatte mittels eines Trojaners.
  • § 20l BKAG ermächtigt das Bundeskriminalamt zur Überwachung von Telefongesprächen.
  • § 20u BKAG regelt den Schutz bestimmter Berufsgruppen vor Überwachungsmaßnahmen, wobei unterschieden wird zwischen Geistlichen, Verteidigern und Mitgliedern des Bundestages einerseits sowie Rechtsanwälten, Ärzten und Journalisten andererseits.
  • § 20v BKAG betrifft die Verwendung und Übermittlung von Informationen, darunter die Übermittlung an andere Behörden im Inland wie Verfassungsschutzbehörden, den militärischen Abschirmdienst oder den Bundesnachrichtendienst. Eine der Verfassungsbeschwerden greift darüber hinaus § 14 BKAG an, der die Übermittlung von Daten durch das Bundeskriminalamt in das Ausland regelt.
  • § 20w BKAG enthält Benachrichtigungspflichten nach Abschluss der Maßnahme.
  • Schließlich werden die Befugnisse des Bundeskriminalamts zur Rasterfahndung (§20j BKAG) und zur Erhebung von Telekommunikationsverkehrsdaten (§ 20m BKAG) angegriffen.

3. Die sechs Beschwerdeführer des Verfahrens 1 BvR 966/09 sind ein ehemaliger Bundesminister, ein ehemaliger Staatsminister, Rechtsanwälte, ein Journalist und ein Arzt. Sie machen unter anderem geltend, die angegriffenen Vorschriften ermöglichten Überwachungsmaßnahmen auch ohne das Vorliegen einer konkreten Gefahr. Die Befugnisse zur Wohnraumüberwachung und zum Zugriff auf informationstechnische Systeme seien hinsichtlich der erfassten Personen zu weitreichend. Die optische Wohnraumüberwachung betreffe Bürger in besonderem Maße in ihrer Privat- und Intimsphäre. Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung sei nicht ausreichend; es drohe die Gefahr der Erstellung umfassender Persönlichkeitsprofile. Daten, die die Aufzeichnung von Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung dokumentieren, seien binnen Jahresfrist zu löschen; dadurch werde effektiver Rechtsschutz verhindert. Teilweise werde das Gesetz dem Erfordernis einer richterlichen Zustimmung nicht gerecht.

Der Schutz von Geistlichen, Abgeordneten und Verteidigern als Berufsgeheimnisträger sei unzureichend; gleiches gelte für Journalisten. Es fehle an einer Regelung zum Schutz des Vertrauensverhältnisses von Ärzten, Rechtsanwälten und Psychologen oder Psychotherapeuten zu deren Patienten und Mandanten. Darüber hinaus werde dem Bundeskriminalamt die umfangreiche Weitergabe von Daten an eine Vielzahl von Behörden im In- und Ausland ermöglicht. Einmal erhobene Daten dürften in weitem Umfang für neue Zwecke genutzt werden. Nach § 14 BKAG dürften Daten - insbesondere aus der Wohnraumüberwachung und aus einem Zugriff auf informationstechnische Systeme - an ausländische Behörden unter Voraussetzungen übermittelt werden, die für Ihre Erhebung unzureichend wären. Auch die weitere Nutzung einmal erhobener Daten durch das Bundeskriminalamt selbst und ihre Weiterleitung an sonstige innerstaatliche Behörden sei verfassungswidrig dergestalt ausformuliert, dass Daten zwar zunächst nur unter erhöhten Anforderungen gewonnen, in der Folge aber unter abgesenkten Voraussetzungen genutzt werden dürften. Schließlich entspreche das Gesetz nicht dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes. Ob der Betroffene von seiner Überwachung zu benachrichtigen sei oder hierauf verzichtet werden könne, werde in die Hände der Ermittlungsbehörde gelegt. Ohne gerichtliche Überprüfung könne bereits nach fünf Jahren von jeder Benachrichtigung abgesehen werden.

4. Die Beschwerdeführer des Verfahrens 1 BvR 1140/09 sind neun - teils ehemalige - Bundestagsabgeordnete der Partei BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN. Sie machen unter anderem geltend, dem Bund fehle die Befugnis für gesetzliche Regelungen zur Verhütung von Straftaten im Vorfeld konkreter Gefahren. Durch die pauschale Bezugnahme auf den Begriff des „internationalen Terrorismus“ bleibe das Gesetz in zahlreichen Regelungen unbestimmt. Selbst Personen, von denen keine Gefahr ausgehe, könnten in unverhältnismäßiger Weise zum Objekt staatlicher Überwachungsmaßnahmen werden. Dem Bundeskriminalamt werde ermöglicht, Persönlichkeitsprofile zu erstellen, wodurch die Privatsphäre nahezu vollständig ausgehöhlt werde. Der Eingriff in Grundrechte wiege dabei besonders schwer, da die gewonnenen Informationen nicht gelöscht, sondern pauschal zur Aufgabenerfüllung des Bundeskriminalamts freigegeben würden.

Die neu eingeführte Befugnis zur optischen Überwachung des Wohnraums ermögliche Eingriffe bis in die Intimsphäre; nach dem Gesetz könne sie sogar für den Schutz von Sachwerten genutzt werden. Der Zugriff auf informationstechnische Systeme - und damit der Einblick in wesentliche Teile der privaten Lebensgestaltung - sei dem Bundeskriminalamt ohne nennenswerte Hürden möglich. Den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung gewährleiste das Gesetz dabei nur unzureichend. Insbesondere werde der Vernichtung von Beweisen für einen Eingriff in die Intimsphäre der Vorrang vor ihrer Speicherung zum Zwecke der Datenschutzkontrolle und des gerichtlichen Rechtsschutzes eingeräumt. Durch die Möglichkeit eines heimlichen Eingriffs in das anwaltliche und in das ärztliche Vertrauensverhältnis zu Mandanten bzw. Patienten werde das Berufsgeheimnis in Frage gestellt.

5. Die Bundesregierung hält die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für gegeben und die angegriffenen Regelungen für hinreichend bestimmt. Die Befugnisse dienten ausschließlich dem Schutz von Rechtsgütern besonderen Gewichts und stünden darüber hinaus unter einem strengen  Erforderlichkeitsvorbehalt. Einige der Befugnisse griffen nicht derart intensiv in die Sphäre der Betroffenen ein, dass sie einem Richtervorbehalt unterliegen müssten. Überwachungsmaßnahmen richteten sich nur gegen Personen, von denen eine Gefahr ausgehe oder die in einem spezifisch tatbezogenen Kontakt mit einer solchen Person stünden. Andere Personen würden nur unter strengen Voraussetzungen und in Einzelfällen von Maßnahmen des Bundeskriminalamtes erfasst. Der besondere Schutz von Strafverteidigern im Vergleich zu anderen Berufsgeheimnisträgern sei verfassungsrechtlich anerkannt.

Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung bedürfe nicht in jedem Fall einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Das Gesetz stelle sicher, dass die vor Ort ermittelnden Beamten kernbereichsrelevante Informationen nicht zur Kenntnis nähmen. Die Sichtung sämtlicher Daten durch eine unabhängige Stelle sei nicht verfassungsrechtlich geboten. Die frühzeitige Löschung von Daten, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen, diene dem Schutz sensibler Daten des Betroffenen. Die vom Gesetz vorgesehenen Benachrichtigungspflichten seien verfassungskonform. Die Datenübermittlung durch das Bundeskriminalamt sei auf besonders zu schützende Rechtsgüter bezogen und in gleicher Weise gerechtfertigt wie die Ermittlungsbefugnisse selbst.

6. Verhandlungsgliederung für die mündliche Verhandlung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts am 7. Juli 2015 (PDF, 17KB, Datei ist nicht barrierefrei)