Bundesverfassungsgericht

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Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde zur pauschalen Erhebung von Betriebs- und Stromkosten im Strafvollzug  

Pressemitteilung Nr. 53/2018 vom 28. Juni 2018

Beschluss vom 16. Mai 2018
2 BvR 635/17

Gerichte verstoßen gegen das grundgesetzlich geschützte Recht auf effektiven Rechtsschutz, wenn sie die Erhebung von Kostenpauschalen auf Eingriffsnormen stützen, die eine Kostenbeteiligung Gefangener an Strom- oder Betriebskosten ermöglichen und ihren Entscheidungen ungeprüft die nicht näher belegte Behauptung der Justizvollzugsanstalt zugrunde legen, die Einnahmen durch erhobene Betriebskostenpauschalen lägen unter den Kosten des durchschnittlichen tatsächlichen Verbrauchs. Dies hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss auf die Verfassungsbeschwerde eines Strafgefangenen hin entschieden und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Straubing. Er verfügt in seinem Haftraum über ein eigenes Fernsehgerät, für dessen Betrieb von der Justizvollzugsanstalt Kosten erhoben werden. Im Juni 2016 gab die Justizvollzugsanstalt schriftlich bekannt, dass infolge der Inbetriebnahme einer neuen Satellitenempfangsanlage ab Juli 2016 für jedes in der Justizvollzugsanstalt Straubing betriebene Fernsehgerät monatlich eine „Strom- und Betriebskostenbeteiligung“ von 3 Euro erhoben werde. Der Beschwerdeführer ging erfolglos gerichtlich vor Land- und Oberlandesgericht gegen die Abbuchung seines Kostenbeitrags, der sich durch die Neuregelung von 4,50 Euro auf 9 Euro im Quartal erhöht hatte, vor. Dabei trug er unter anderem vor, die Justizvollzugsanstalt lege unzulässiger Weise einmalige Investitionskosten für eine modernisierte Satellitenanlage als Betriebskosten um, finanziere über die Pauschalen den kostenfrei anzubietenden Grundbedarf und erwirtschafte durch die Erhebung der Pauschalen Einnahmen, die über ihre Ausgaben für den Betrieb der in Frage stehenden Geräte hinausgingen.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG rügt, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und offensichtlich begründet.

Art. 19 Abs. 4 GG verleiht dem Einzelnen, der behauptet, durch einen Akt öffentlicher Gewalt verletzt zu sein, einen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle. Die fachgerichtliche Überprüfung grundrechtseingreifender Maßnahmen kann die Beachtung des geltenden Rechts und den effektiven Schutz der berührten Interessen nur gewährleisten, wenn sie auf zureichender Aufklärung des jeweiligen Sachverhalts beruht. Der Bürger hat einen substantiellen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle. Der Zugang zum Gericht darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Beweislasten dürfen nicht in einer Weise zugeordnet werden, die es den belasteten Verfahrensbeteiligten faktisch unmöglich macht, sie zu erfüllen. In strafvollzugsrechtlichen Verfahren muss das Beweisrecht der spezifischen Situation des Strafgefangenen und den besonderen Beweisproblemen, die sich daraus ergeben können, Rechnung tragen. Diesen grundrechtlichen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht.

Nach dem Bayerischen Strafvollzugsgesetz können eigene Hörfunk- und Fernsehgeräte von Gefangenen zugelassen und den Gefangenen die Betriebskosten auferlegt werden. Gefangene können zudem in angemessenem Umfang an den Stromkosten, die durch die Nutzung der in ihrem Besitz befindlichen Gegenstände entstehen, beteiligt werden. Entsprechende Regelungen finden sich auch in anderen Landesgesetzen. Dabei ist weitgehend anerkannt, dass sich die Möglichkeit der Auferlegung von Stromkosten auf die Nutzung von Elektrogeräten bezieht, die über den von den Justizvollzugsanstalten kostenfrei zu gewährenden Grundbedarf hinausgehen.

Die Erhebung von Betriebs- und Stromkosten als Pauschalen begegnet im Ergebnis keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar kann eine pauschalierte Abrechnungsweise zu verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlungen führen. Diese können jedoch grundsätzlich durch Praktikabilitätserwägungen, hier insbesondere die erheblichen Kosten und Schwierigkeiten einer individuellen Abrechnung im Strafvollzug, gerechtfertigt werden.

Verfassungsrechtlichen Zweifeln begegnete es indes, wenn mit der Erhebung von Kostenpauschalen auf der Grundlage von Eingriffsnormen, die eine Kostenbeteiligung Gefangener an Strom- oder Betriebskosten von Elektrogeräten ermöglichen, im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Kostenstruktur einer Justizvollzugsanstalt der von Verfassungs wegen zu gewährleistende Grundbedarf oder anderweitige Haftkosten mittelbar (mit)finanziert würden. Dies wäre jedenfalls der Fall, wenn die Gesamteinnahmen aus den erhobenen Kostenpauschalen die durch die in der Eingriffsgrundlage bezeichneten Geräte verursachten Betriebs- oder Stromkosten überstiegen.

Das Landgericht und das Oberlandesgericht haben bei der von ihnen vorgenommenen Prüfung gegen den Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle verstoßen, indem sie ihren Entscheidungen ungeprüft die nicht näher belegte und durch den Beschwerdeführer bestrittene Behauptung der Justizvollzugsanstalt zugrunde legten, die Einnahmen durch die erhobenen Pauschalen lägen auch nach der Erhebung der neuen Betriebskostenpauschale noch unter den „Kosten des durchschnittlichen tatsächlichen Verbrauchs“.