BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 772/03 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn V...
Bahnhofstraße 40, 49448 Lemförde -
gegen a) | den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 10. April 2003 - 3 Ws 164 u. 165/03 -, |
b) | den Beschluss des Landgerichts Bielefeld vom 27. Februar 2003 - StVK V 538, 539/03 (21b) - |
und | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
und | Antrag auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts Bernd Nowack |
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Hassemer,
die Richterin Osterloh
und den Richter Mellinghoff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 6. Juni 2003 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts Bernd Nowack wird abgelehnt.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>). Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Die Beanstandung der Ablehnung der Beiordnung eines Rechtsanwalts ist unbegründet. Zwar ist im Vollstreckungsverfahren der rechtsstaatlichen Ausgestaltung des Verfahrens durch eine entsprechende Anwendung des § 140 StPO angemessen Rechnung zu tragen. Über die Erforderlichkeit der gerichtlichen Bestellung eines Verteidigers ist im Blick auf den Anspruch des Betroffenen auf ein faires Verfahren (vgl. BVerfGE 38, 105 <111 ff.>) daher auch in diesem Bereich von Fall zu Fall zu entscheiden (vgl. BVerfGE 103, 21 <41>). Dem tragen die angegriffenen Entscheidungen angemessen Rechnung. Der im Erkenntnisverfahren für die Bestellung eines Verteidigers maßgebende Gesichtspunkt der Schwere der Tat und des Gewichts der zu erwartenden Rechtsfolgen gilt im Vollstreckungsverfahren nicht mehr. Tatschwere und Rechtsfolgen stehen bereits fest. Über sie ist keine Entscheidung mehr möglich. Das Oberlandesgericht hat bei Auslegung und entsprechender Anwendung des Begriffs der "Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage" in § 140 Abs. 2 StPO und der Beurteilung, ob der Beschwerdeführer sich selbst vertreten kann, spezifisches Verfassungsrecht nicht verletzt.
Von Verfassungs wegen war auch nicht geboten, vorab über den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung zu entscheiden. Ein Gericht muss das Ergebnis seiner Entscheidung grundsätzlich nicht zuvor ankündigen, um eine Äußerung eines Verfahrensbeteiligten herbeizuführen (vgl. BVerfGE 84, 188 <190>; 86, 133 <144 f.>). Zudem teilt der Beschwerdeführer nicht konkret mit, was er hätte vortragen wollen.
2. Es verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG, dass das Landgericht eine Strafaussetzung zur Bewährung auch deshalb abgelehnt hat, weil sich bei dem wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilten Beschwerdeführer während des Vollzugs zusätzlich pädophile Neigungen gezeigt haben. Die Versagung einer Strafrestaussetzung ist keine erneute Bestrafung. Maßgeblich für sie ist allein eine Bewertung des mit einer Entlassung verbundenen Risikos für die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit. Dass die Strafvollstreckungskammer dieses Risiko zusätzlich wegen der festgestellten pädophilen Neigungen als erhöht angesehen hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
3. Ein Verstoß der Fachgerichte gegen die Pflicht zur bestmöglichen Sachaufklärung (vgl. BVerfGE 70, 297 <308 ff.>) liegt nicht vor. Insbesondere bedurfte es von Verfassungs wegen nicht der Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens. Der Beschwerdeführer war Ende 2000 gemäß § 16 Abs. 3 MRVG NRW von einem externen Sachverständigen untersucht worden. Die Strafvollstreckungskammer hat festgestellt, dass übereinstimmend mit diesem - vom Beschwerdeführer nicht vorgelegten - Gutachten die Therapeutin der Maßregeleinrichtung, in der sich der Beschwerdeführer zuletzt befand, in einer aktuellen Stellungnahme gleichfalls die Auffassung vertreten hat, dass der Verurteilte noch weiterer intensiver Betreuung und Psychotherapie bedürfe. Eine positive Entlassungsprognose liegt für den Zeitpunkt des Ablaufs der Höchstfrist des § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB damit auch aus Sicht der behandelnden Therapeuten nicht vor. Anhaltspunkte, dass ein weiterer Sachverständiger zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, bestehen nicht.
Die Strafvollstreckungskammer hat sich schließlich auch mit der Frage auseinander gesetzt, ob die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, wenn sie mit der Weisung an den Beschwerdeführer verbunden wird, sich weiterhin einer Heilbehandlung in der Maßregeleinrichtung zu unterziehen. Bei einem solchen Vorgehen könnte der Beschwerdeführer nicht unmittelbar daran gehindert werden, die ihm mit der Weisung aufgegebene Therapie abzubrechen und die Anstalt zu verlassen. Es bestünden dann lediglich Einwirkungsmöglichkeiten nach §§ 57 Abs. 3, 56f StGB, §§ 453, 453c StPO. Dass die Strafvollstreckungskammer diese unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit als nicht ausreichend angesehen hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Hassemer | Osterloh | Mellinghoff |