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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1724/02 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn S...
Bruchsaler Straße 3, 76646 Bruchsal -
gegen a) | den Beschluss des Landgerichts Heilbronn vom 23. Oktober 2002 - 4 StVK 1143/02 -, |
b) | die Maßnahmen des Leiters der Justizvollzugsanstalt Heilbronn vom 14. und 15. Oktober 2002 |
und | Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts Wolfgang Zimmermann, 76646 Bruchsal |
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Jentsch,
Broß
und die Richterin Lübbe-Wolff
gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Absatz 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 11. Juni 2003 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Landgerichts Heilbronn vom 23. Oktober 2002 - 4 StVK 1143/02 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Heilbronn zur Entscheidung zurückverwiesen.
- Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
- Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zur Hälfte zu erstatten.
- Soweit der Verfassungsbeschwerde stattgegeben wird, erledigt sich der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts; im Übrigen wird er zurückgewiesen.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Gewährung effektiven Rechtsschutzes bei Disziplinarmaßnahmen im Strafvollzug.
I.
1. Der 1960 geborene Beschwerdeführer verbüßt eine Freiheitsstrafe von drei Jahren in der Justizvollzugsanstalt Heilbronn. Am 10. Oktober 2002 weigerte sich der Beschwerdeführer, eine ihm von der Anstaltsleitung zugewiesene Arbeitstätigkeit in der Kartonage-Abteilung der Justizvollzugsanstalt aufzunehmen. Zur Begründung führte der Beschwerdeführer, der von ungewöhnlich kleiner Körpergröße ist und eine besonders kleine Schuhgröße benötigt, an, dass ihm die Arbeitskleidung, die er von der Justizvollzugsanstalt erhalten habe, nicht passe. Die Arbeitshose sei zu lang und seine Schuhe seien zwei Nummern zu groß. Wegen Verstoßes gegen die Arbeitspflicht verhängte die Anstaltsleitung gegen den Beschwerdeführer am 14. Oktober 2002 eine 14-tägige Freizeitsperre als Disziplinarmaßnahme. Als der Beschwerdeführer auch am 15. Oktober 2002 die Arbeitsaufnahme verweigerte, verhängte die Anstaltsleitung zusätzlich einen fünftägigen Arrest, wobei Außenkontakte auf dringende Fälle beschränkt wurden.
2. Mit Verteidigerschreiben vom 17. Oktober 2002, das beim Landgericht Heilbronn am 18. Oktober 2002 einging, beantragte der Beschwerdeführer den Erlass einer "einstweiligen Anordnung" gemäß § 114 Abs. 2 StVollzG i.V.m. § 123 Abs. 1 VwGO dahingehend, dass die Vollstreckung der Disziplinarmaßnahmen bis zur gerichtlichen Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit vorläufig auszusetzen sei. Am gleichen Tag ging bei dem Landgericht Heilbronn ein Fax-Schreiben der Justizvollzugsanstalt Heilbronn ein, in dem ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer bereits vor Monaten passende Arbeitsschuhe und -kleidung erhalten habe. Die Justizvollzugsanstalt beantragte, den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abzuweisen, damit die Disziplinarmaßnahmen gegen den Beschwerdeführer alsbald vollzogen werden könnten.
Der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer "einstweiligen Anordnung" wurde vom Landgericht Heilbronn mit Beschluss vom 23. Oktober 2002 abgelehnt. Zur Begründung führte das Gericht zum einen aus, die begehrte Anordnung könne nicht ergehen, weil sie die Hauptsacheentscheidung vorwegnehmen würde. Nur bei schweren und unzumutbaren Nachteilen, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können, dürften vorläufige Maßnahmen getroffen werden. Derartige irreparable Rechtsverluste drohten dem Beschwerdeführer jedoch im vorliegenden Fall durch die Verhängung der Disziplinarmaßnahmen nicht. Zum anderen stützte das Gericht seine ablehnende Entscheidung auf die Erwägung, dass die Maßnahmen der Justizvollzugsanstalt nicht offenkundig rechtswidrig seien. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt habe dem Gericht mitgeteilt, dass dem Gefangenen bereits vor Monaten passende Arbeitsschuhe und -kleidung überreicht worden seien. Ungeachtet dieser Stellungnahme rechtfertige das Argument des Beschwerdeführers, er sei nur deswegen nicht bereit, Arbeitsleistungen zu erbringen, weil ihm die Anstalt keine Schuhe seiner Größe zur Verfügung gestellt habe, nicht die Arbeitsverweigerung. Auch das Argument des Beschwerdeführers, das ihm zur Verfügung gestellte Beinkleid sei 10 cm zu lang, entschuldige die Arbeitsverweigerung nicht. Zum einen könne die Hosenlänge durch einfaches "Umschlagen" verändert werden und zum anderen - so das Gericht wörtlich - sei allgemein bekannt, dass es "durchaus heutigen modischen Vorstellungen entspricht, wenn der Schritt des Beinkleides bis zu den Kniekehlen reicht".
Bis zum 7. November 2002 wurden sämtliche der angeordneten Disziplinarmaßnahmen vollzogen.
II.
Mit der Verfassungsbeschwerde greift der Beschwerdeführer die gegen ihn ergangenen Disziplinarmaßnahmen sowie den Beschluss des Landgerichts Heilbronn vom 23. Oktober 2002 an. Er rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 19 Abs. 4 und Art. 1 GG. Unter anderem beanstandet er, dass das Gericht seinen Eilantrag fünf Tage lang unbearbeitet gelassen habe. Darüber hinaus sei der Begriff der "schweren und unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteile" fehlinterpretiert worden. Außerdem entspreche es allenfalls den Modevorstellungen von 14- bis 15-jährigen Jugendlichen, wenn der Schritt des Beinkleides bis zu den Kniekehlen reiche. Demgegenüber sei es mit der Menschenwürde eines fast 43 Jahre alten Strafgefangenen unvereinbar, wenn er durch gänzlich unpassende Arbeitskleidung nicht nur dem Risiko von Arbeitsunfällen, sondern auch der Lächerlichkeit ausgesetzt werde.
Das Justizministerium des Landes Baden-Württemberg hatte Gelegenheit zur Äußerung; es hat von einer Stellungnahme abgesehen.
III.
1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, soweit sie sich gegen die Anordnung der Disziplinarmaßnahmen richtet. Sie ist insoweit unzulässig, weil der Rechtsweg nicht erschöpft wurde (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit mit ihr der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes ergangene Beschluss des Landgerichts Heilbronn vom 23. Oktober 2002 angegriffen wird, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§§ 93b, 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Über die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (s. unter 3. a).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist im dargelegten Umfang zulässig.
Die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes kann grundsätzlich Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein (vgl. BVerfGE 69, 315 <339 f.>; 77, 381 <400 f.>). Der Rechtsweg im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist erschöpft; gegen die angegriffene Entscheidung ist ein weiteres Rechtsmittel nicht gegeben (vgl. § 114 Abs. 2 Satz 3 StVollzG). Eine Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache ist im vorliegenden Fall nicht geboten, da der Beschwerdeführer eine Grundrechtsverletzung geltend macht, die nur für das vorläufige Verfahren bedeutsam ist und im Hauptsacheverfahren nicht mehr ausgeräumt werden kann (vgl. BVerfGE 69, 315 <340>; 80, 40 <45>; 104, 65 <70 f.>).
Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht entgegen, dass die Disziplinarmaßnahmen, gegen die der Beschwerdeführer einstweiligen Rechtsschutz begehrt hat, inzwischen vollständig vollzogen sind. Das Bundesverfassungsgericht geht in Fällen tiefgreifender und schwerwiegender Grundrechtsverstöße vom Fortbestehen des Rechtsschutzbedürfnisses trotz Erledigung aus. Rügt der Beschwerdeführer, ihm sei vorläufiger Rechtsschutz zu Unrecht verweigert worden, so macht er jedenfalls dann einen tiefgreifenden und schwerwiegenden Grundrechtsverstoß geltend, wenn die Maßnahmen, gegen die vorläufiger Rechtsschutz begehrt wurde, ihrerseits gewichtig sind (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 1994 - 2 BvR 1958/93 -, ZfStrVO 1995, S. 371 ff.). Dies ist hier der Fall. Insbesondere der verhängte Arrest stellt als erhebliche Verschärfung der Bedingungen der Freiheitsentziehung, die dem Strafgefangenen auferlegt ist, einen tiefgreifenden und schwerwiegenden Eingriff dar.
3. Die Verfassungsbeschwerde ist im bezeichneten Umfang auch offensichtlich begründet im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Der angegriffene Beschluss des Landgerichts Heilbronn vom 23. Oktober 2002 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.
a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern gibt dem Bürger einen Anspruch auf tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Aus dieser grundgesetzlichen Garantie folgt das Verfassungsgebot, soweit als möglich zu verhindern, dass durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme Tatsachen geschaffen werden, die auch dann, wenn sich die Maßnahme bei richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können (vgl. BVerfGE 37, 150 <153>; 65, 1 <70>). Zwar gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen nicht schlechthin (vgl. BVerfGE 65, 1 <70>). Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber im Bereich des Strafvollzugs die sofortige Vollziehung als Regel und die Aussetzung des Vollzugs als Ausnahme vorsieht, weil er grundsätzlich den sofortigen Vollzug der angeordneten Maßnahmen aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses für geboten hält. Dabei muss jedoch gewährleistet sein, dass der Betroffene umgehend eine gerichtliche Entscheidung darüber herbeiführen kann, ob im konkreten Einzelfall das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung oder aber das Interesse des Einzelnen an der Aussetzung der Vollstreckung bis zur Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme überwiegt. Bei dieser Abwägung fällt der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker ins Gewicht, je schwerer die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Exekutive Unabänderliches bewirkt (BVerfGE 35, 382 <402>; 37, 150 <153>).
Für die Gerichte ergeben sich aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes Anforderungen an die Auslegung und Anwendung der jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen über den Eilrechtsschutz (vgl. BVerfGE 49, 220 <226>; 77, 275 <284>). Diese muss darauf ausgerichtet sein, dass der Rechtsschutz sich auch im Eilverfahren nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpft, sondern zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht führt (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 1994 - 2 BvR 1958/93 -, ZfStrVO 1995, S. 371 ff.).
b) Die Auslegung und Anwendung des § 114 Abs. 2 StVollzG durch das Landgericht Heilbronn verkennt die oben dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes bei belastenden Maßnahmen.
Nach § 114 Abs. 2 StVollzG kann das Gericht den Vollzug einer angefochtenen Maßnahme aussetzen, wenn die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird, und ein höher zu bewertendes Interesse an dem sofortigen Vollzug nicht entgegensteht (Satz 1); unter den Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 VwGO kann eine einstweilige Anordnung erlassen werden (Satz 2). Mit dieser Regelung differenziert der Gesetzgeber bei der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Strafvollzug - ähnlich wie bei den §§ 80, 123 VwGO - nach dem Gegenstand der Hauptsache. Wendet sich der Beschwerdeführer gegen eine ihn belastende Maßnahme, so kann das Gericht den Vollzug dieser Maßnahme schon unter den Voraussetzungen des § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG aussetzen. Begehrt der Beschwerdeführer dagegen die Verpflichtung zum Erlass einer von der Anstalt abgelehnten oder unterlassenen Maßnahme, so kommt vorläufiger Rechtsschutz nur unter den Voraussetzungen der §§ 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG, 123 Abs. 1 VwGO in Betracht.
Das Landgericht hat das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass einer "einstweiligen Anordnung" verneint, ohne zwischen den Voraussetzungen einer Aussetzungsanordnung nach § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG und den Voraussetzungen einer Vornahmeanordnung nach § 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG i.V.m. § 123 Abs. 1 VwGO klar zu unterscheiden und ohne erkennen zu lassen, nach welcher dieser beiden Alternativen entschieden wurde (zur Bedeutung dieser Unterscheidung im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG vgl. Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 1993 - 2 BvR 2212/93 -, NStZ 1994, S. 101, vom 7. September 1994 - 2 BvR 1958/93 -, ZfStrVO 1995, S. 371 ff., vom 17. Juni 1999 - 2 BvR 1454/98 -, NStZ 1999, S. 532). Die Verwendung des Begriffs der "einstweiligen Anordnung" legt den Schluss nahe, dass das Gericht rechtsfehlerhaft von einem Anwendungsfall des § 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG i.V.m. § 123 Abs. 1 VwGO statt von der nach § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG zu beurteilenden Konstellation einer beantragten vorläufigen Aussetzung einer belastenden Maßnahme ausgegangen ist.
Die damit zusammenhängende Annahme des Gerichts, dass der Erlass der begehrten "Anordnung" die Hauptsache vorwegnehmen würde und die engen Voraussetzungen, unter denen eine die Hauptsache vorwegnehmende Entscheidung ergehen könnte, nicht vorlägen, ist unhaltbar. Die nur vorläufige Aussetzung einer Maßnahme nach § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache stellt für sich genommen keine Vorwegnahme der Hauptsache dar. Eine - nur in Ausnahmefällen zulässige - Vorwegnahme der Hauptsache liegt nur dann vor, wenn die begehrte vorläufige Entscheidung faktisch keine vorläufige wäre, sondern einer endgültigen gleichkäme. Dies ist nicht der Fall, wenn die einstweilige Aussetzung einer Maßnahme begehrt wird, die bei entsprechendem Ausgang des Hauptsacheverfahrens wieder in Geltung gesetzt werden kann. Die bloße Tatsache, dass die vorübergehende Aussetzung als solche nicht wieder rückgängig gemacht werden kann, macht die vorläufige Regelung nicht zu einer faktisch endgültigen. Die vorläufige Aussetzung ist vielmehr, sofern die Voraussetzungen für eine stattgebende Eilentscheidung im Übrigen vorliegen, gerade der typische, vom Gesetzgeber vorgesehene Regelungsgehalt des vorläufigen Rechtsschutzes gegen belastende Maßnahmen (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Juni 1999 - 2 BvR 1454/98 -, NStZ 1999, S. 532; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Juli 1989 - 2 BvR 896/89 - JURIS). Das Gericht hätte daher, ohne insoweit durch den Gesichtspunkt einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache gebunden zu sein, gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG prüfen müssen, ob die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts des Beschwerdeführers vereitelt oder wesentlich erschwert wird, und ob der Aussetzung kein höher zu bewertendes Interesse an dem sofortigen Vollzug entgegensteht. Indem das Gericht die danach erforderliche Interessenabwägung unterlassen hat, ist es den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen effektiven vorläufigen Rechtsschutz nicht gerecht geworden (ebenda).
c) Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht eine dem Beschwerdeführer günstigere Entscheidung getroffen hätte, wenn es bei der Auslegung und Anwendung des § 114 Abs. 2 StVollzG die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes hinreichend beachtet hätte. Der Annahme eines Beruhenszusammenhangs steht auch nicht entgegen, dass das Gericht davon ausgegangen ist, die Entscheidung der Leitung der Justizvollzugsanstalt sei "nicht offenkundig rechtswidrig". Zwar kann bei der Entscheidung über einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz eine Rolle spielen, dass die Rechtslage eindeutig gegen den Antragsteller spricht (vgl. Callies/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 9. Aufl. 2002, § 114 StVollzG Rn. 2 m.w.N.). Doch lässt schon die vom Gericht selbst gewählte Formulierung erkennen, dass es von einer zweifelsfrei-klaren Rechtslage gerade nicht ausgegangen ist. Davon abgesehen können Erwägungen zu den Erfolgsaussichten in der Hauptsache die gebotene Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht ersetzen. Zudem begegnen die Ausführungen des Gerichts zur Rechtmäßigkeit der verhängten Disziplinarmaßnahmen ihrerseits durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Soweit das Gericht ausführt, der Leiter der Justizvollzugsanstalt habe ihm mitgeteilt, dass dem Gefangenen bereits vor Monaten passende Arbeitsschuhe und -kleidung überreicht worden seien, geht aus der knappen Beschlussbegründung nicht hinreichend deutlich hervor, ob - und gegebenenfalls aufgrund welcher Umstände - das Gericht dieser vom Beschwerdeführer bestrittenen Sachverhaltsdarstellung folgt. Schließlich lässt die Erwägung des Gerichts, dass es "durchaus heutigen modischen Vorstellungen" entspreche, "wenn der Schritt des Beinkleides bis zu den Kniekehlen reicht", ein Bewusstsein dafür vermissen, dass Grundrechte berührt sind, wenn ein Strafgefangener gezwungen wird, Kleidung zu tragen, durch die er sich der Lächerlichkeit preisgegeben sieht, und dass ein Strafgefangener, der um gerichtlichen Rechtsschutz nachsucht, wie jeder andere Rechtssuchende eine sachliche Auseinandersetzung mit seinem Anliegen erwarten darf.
Da die Entscheidung schon wegen Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 4 GG aufzuheben war, kam es auf eine nähere Prüfung der weiteren Rüge des Beschwerdeführers nicht an.
4. Die Entscheidung über die Aufhebung und Zurückverweisung beruht auf § 95 Abs. 2 BVerfGG. Die Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses und die Zurückverweisung der Sache ist ungeachtet des zwischenzeitlichen Vollzugs der Disziplinarmaßnahmen angezeigt, damit das zuständige Gericht noch Gelegenheit hat, eine Entscheidung zur Kostenfrage zu treffen (vgl. BVerfGE 6, 376 <389>).
5. Weil die Verfassungsbeschwerde nur teilweise erfolgreich ist, sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen nur zur Hälfte zu erstatten (§ 34a Abs. 2 BVerfGG). Insoweit erledigt sich zugleich der Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (vgl. BVerfGE 62, 392 <397>; 71, 122 <136 f.>). Im Übrigen war er mangels hinreichender Erfolgsaussichten zurückzuweisen (§ 114 ZPO analog).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
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