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Regelung im "Denkmalschutzgesetz" des Landes Rheinland-Pfalz ist mit dem GG unvereinbar

Pressemitteilung Nr. 69/1999 vom 1. Juli 1999

Beschluss vom 02. März 1999
1 BvL 7/91

Der Erste Senat des BVerfG hat in einem gerichtlichen Vorlageverfahren entschieden, daß § 13 Abs. 1 Satz 2 Denkmalschutz- und -pflegegesetz des Landes Rheinland-Pfalz (DSchPflG; Wortlaut s. Anlage) wegen Verstoßes gegen die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) mit dem GG unvereinbar ist.

Nach dieser Vorschrift darf die Beseitigung eines Kulturdenkmals nur im öffentlichen Interesse genehmigt werden. Eigentümerinteressen bleiben dabei unberücksichtigt.

Der Gesetzgeber hat bis zum 30. Juni 2001 Zeit, eine verfassungsgemäße Regelung zu erlassen. Ergeht innerhalb dieser Frist keine Neuregelung, muß eine Beseitigung von Kulturdenkmälern hingenommen werden, wenn ihre Erhaltung dem Eigentümer nicht zugemutet werden kann.

I.

Ein Industrieunternehmen beantragte 1981 die Genehmigung zum Abbruch einer in seinem Eigentum stehenden Villa aus dem späten 19. Jahrhundert. Es habe für das Gebäude keine betriebliche Verwendung mehr, jahrelange Bemühungen um eine sonstige sinnvolle Nutzung oder Verpachtung des Gebäudes seien ohne Erfolg geblieben. Die Erhaltung der Bausubstanz erfordere einen unverhältnismäßigen Energie- und Instandsetzungsaufwand.

Die Behörden stellten das Gebäude 1983 förmlich unter Denkmalschutz und versagten die Erteilung einer Abbruchgenehmigung. Gründe des Gemeinwohls, die eine Genehmigung rechtfertigen könnten, gebe es nicht. Daß sich für das Gebäude keine Nutzung finden lasse und die Unterhaltung des Anwesens wegen der hohen Erhaltungskosten unwirtschaftlich sei, könne bei der Entscheidung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 DSchPflG nicht berücksichtigt werden. Widerspruch und Klage des Unternehmens blieben erfolglos. Im Berufungsverfahren legte das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (OVG) dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Frage vor,

"ob § 13 Abs. 1 Satz 2 des ... DSchPflG vom 23. März 1978 ... insoweit verfassungswidrig ist, als darin bestimmt wird, daß im Falle der Nr. 1 ... die Genehmigung nur erteilt werden darf, wenn andere Erfordernisse des Gemeinwohls die Belange des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege überwiegen."

Nach Auffassung des OVG verstößt die vorgelegte Norm gegen die Eigentumsgarantie.

II.

Der Erste Senat des BVerfG hat dem OVG im Ergebnis recht gegeben. Zur Begründung heißt es u.a.:

1. Die vorgelegte Norm bestimmt Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.

a) Der Schutz von Kulturdenkmälern ist ein legitimes gesetzgeberisches Anliegen, Denkmalpflege eine Gemeinwohlaufgabe von hohem Rang, die einschränkende Regelungen im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG rechtfertigt. Für Rheinland-Pfalz wird der Denkmalschutz zudem durch eine ausdrückliche Regelung in der Landesverfassung verstärkt.

Der Genehmigungstatbestand des § 13 Abs. 1 Satz 2 DSchPflG ist geeignet und erforderlich, den Zweck dieses Gesetzes zu erfüllen. Der Senat führt weiter aus, daß die Norm auch im engeren Sinne verhältnismäßig ist. Durch das Beseitigungsverbot wird die bestehende Nutzung eines Baudenkmals nicht eingeschränkt. Angesichts des hohen Ranges des Denkmalschutzes und im Blick auf Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG ("Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen") muß der Eigentümer es grundsätzlich hinnehmen, daß ihm möglicherweise eine rentablere Nutzung des Grundstücks verwehrt wird. Art. 14 Abs. 1 GG schützt nicht die einträglichste Nutzung des Eigentums.

b) Anders liegt es aber - wie im vorliegenden Fall -, wenn für ein geschütztes Bauwerk keinerlei sinnvolle Nutzungsmöglichkeit mehr besteht. Dazu kann es kommen, wenn die ursprüngliche Nutzung infolge geänderter Verhältnisse hinfällig wird und eine andere Verwendung, auf die der Eigentümer in zumutbarer Weise verwiesen werden könnte, sich nicht verwirklichen läßt. Wenn selbst ein dem Denkmalschutz aufgeschlossener Eigentümer von einem Baudenkmal keinen vernünftigen Gebrauch machen und es praktisch auch nicht veräußern kann, wird dessen Privatnützigkeit nahezu vollständig beseitigt. Nimmt man die gesetzliche Erhaltungspflicht hinzu, so wird aus dem Recht eine Last, die der Eigentümer allein im öffentlichen Interesse zu tragen hat, ohne dafür die Vorteile einer privaten Nutzung zu genießen. Die Rechtsposition des Betroffenen nähert sich damit einer Lage, in der sie den Namen "Eigentum" nicht mehr verdient. Die Versagung einer Beseitigungsgenehmigung ist dann nicht mehr zumutbar. Wo die Grenze der Zumutbarkeit im einzelnen verläuft und in welchem Umfang Eigentümer von der zur Prüfung gestellten Norm in unzumutbarer Weise getroffen werden, kann offen bleiben. Die Verfassungswidrigkeit von § 13 Abs. 1 Satz 2 DSchPflG folgt bereits daraus, daß die Norm unverhältnismäßige Belastungen des Eigentümers nicht ausschließt und keinerlei Vorkehrungen zur Vermeidung derartiger Eigentumsbeschränkungen enthält.

c) An diesem Ergebnis ändert auch die Entschädigungspflicht des § 31 Abs. 1 Satz 2 DSchPflG (Wortlaut s. Anlage) nichts. Zwar können unzumutbare Auswirkungen einer den Inhalt des Eigentums bestimmenden Regelung (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) grundsätzlich durch Ausgleichsmaßnahmen verhindert werden. § 31 Abs. 1 Satz 2 DSchPflG kann diese Funktion aber nicht erfüllen, weil die Vorschrift den Anforderungen, die an eine Ausgleichsregelung zu stellen sind, nicht genügt. Denn ein solcher Ausgleich muß durch Gesetz geregelt werden und darf sich nicht auf eine Entschädigung in Geld beschränken. Die Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG verlangt, daß in erster Linie Vorkehrungen getroffen werden, die eine unverhältnismäßige Belastung des Eigentümers real vermeiden und die Privatnützigkeit des Eigentums so weit wie möglich erhalten.

Der Gesetzgeber muß in seiner Ausgleichsregelung darüberhinaus sicherstellen, daß mit einem das Eigentumsrecht beschränkendem behördlichen Verwaltungsakt zugleich über einen dem belasteten Eigentümer gegegenenfalls zu gewährenden Ausgleich entschieden wird; bei finanzieller Kompensation ist zumindest dem Grunde nach über das Bestehen des Anspruchs zu entscheiden. Nur dann kann sich der Eigentümer sinnvoll entscheiden, ob er einen beeinträchtigenden Verwaltungsakt (beispielsweise die Versagung einer Abrißgenehmigung) hinnehmen oder anfechten will.

2. Folgen der Entscheidung Dem Gesetzgeber wird eine Frist bis zum 30. Juni 2001 gesetzt, innerhalb derer er sich entscheiden muß, ob er den Denkmalschutz mit Hilfe von Befreiungs- und Ausgleichsregelungen aufrechterhalten will. Erläßt er keine Neuregelung, so muß ab 1. Juli 2001 eine Beseitigung von Kulturdenkmälern hingenommen werden, wenn ihre Erhaltung dem Eigentümer nicht zugemutet werden kann. Bis zum Fristablauf kann über Anträge auf Erteilung einer denkmalschutzrechtlichen Beseitigungsgenehmigung nicht abschließend entschieden werden, wenn die Beseitigung nicht im öffentlichen Interesse erlaubt werden soll. Anhängige Genehmigungsverfahren und Verwaltungsrechtsstreitigkeiten sind längstens bis zum 30. Juni 2001 auszusetzen.

Anlage zur Pressemitteilung Nr. 69/99 vom 1. Juli 1999

"§ 13 Genehmigung von Veränderungen, Anzeige von Instandsetzungen

(1) Ein geschütztes Kulturdenkmal darf nur mit Genehmigung

  1. zerstört, abgebrochen, zerlegt oder beseitigt,
  2. umgestaltet oder sonst in seinem Bestand verändert,
  3. in seinem Erscheinungsbild nicht nur vorübergehend beeinträchtigt,
  4. von seinem Standort entfernt

werden. Im Falle der Nummer 1 darf die Genehmigung nur erteilt werden, wenn andere Erfordernisse des Gemeinwohls die Belange des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege überwiegen; hierbei ist zu prüfen, ob den überwiegenden Erfordernissen des Gemeinwohls nicht auf andere Weise Rechnung getragen werden kann.

..."

"§ 31 Sonstige entschädigungspflichtige Maßnahmen

(1) Kann auf Grund einer auf diesem Gesetz beruhenden Maßnahme die bisher rechtmäßig ausgeübte Nutzung eines Gegenstandes nicht mehr fortgesetzt werden und wird hierdurch die wirtschaftliche Nutzbarkeit insgesamt erheblich beschränkt, so hat das Land eine angemessene Entschädigung zu leisten. Das gleiche gilt, wenn die Maßnahme in sonstiger Weise enteignend wirkt.

(2) Bei unbeweglichen Gegenständen finden die Bestimmungen des Landesenteignungsgesetzes über die Entschädigung entsprechende Anwendung; ..."