Bundesverfassungsgericht

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Auch Umsätze eines Heileurythmisten müssen unter bestimmten Voraussetzungen steuerfrei bleiben

Pressemitteilung Nr. 116/1999 vom 5. November 1999

Beschluss vom 29. Oktober 1999
2 BvR 1264/90

Der Zweite Senat des BVerfG hat in einem Verfassungsbeschwerde(Vb) Verfahren einstimmig entschieden, daß es gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstößt, Umsätze eines selbständigen Heileurythmisten allein aufgrund einer fehlenden berufsrechtlichen Regelung von der Umsatzsteuerbefreiung auszunehmen. Dies gilt jedenfalls für den Fall, daß Leistungen eines Heileurythmisten in der Regel von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden.

I.

Der Beschwerdeführer (Bf) ist selbständiger Heileurythmist. Gegen ihn ergingen für die Jahre 1973 bis 1977 Umsatzsteuerbescheide. Hiergegen erhob der Bf zunächst erfolgreich Klage. In letzter Instanz wies der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 21. Juni 1990 (Az. V R 97/84) die Klage jedoch ab. In Abgrenzung zu anderen, von der Umsatzsteuer gemäß § 4 Nr. 14 Umsatzsteuergesetz (UStG) befreiten Berufen (Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Dentist, Krankengymnast, Hebamme oder ähnliche heilberufliche Tätigkeiten) komme es entscheidend darauf an, daß für den Beruf des Heileurythmisten keine berufsrechtlichen Regelungen bestünden. Diese Berufsausübung bedürfe keiner staatlichen Erlaubnis und unterliege nicht der Aufsicht durch die Gesundheitsbehörden.

Gegen das Urteil des BFH erhob der Bf Vb.

II.

Die Vb hat Erfolg. Der Zweite Senat hat das angegriffene Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Zur Begründung heißt es u.a.:

Die Entscheidung des BFH führt im Ergebnis dazu, daß der Bf allein deshalb von der Umsatzsteuerbefreiung ausgenommen ist, weil keine berufsrechtlichen Regelungen für die Heileurythmie bestehen. Dieses Ergebnis verstößt gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG.

1. Das Fehlen einer berufsrechtlichen Regelung ist für sich genommen kein ausreichender Grund, den Beruf des Heileurythmisten von der umsatzsteuerlichen Begünstigung auszunehmen. Der umsatzsteuerliche Belastungsgrund erfaßt die entgeltliche unternehmerische Leistung unabhängig von der beruflichen Qualifikation. Der Befreiungstatbestand des § 4 Nr. 14 UStG zeichnet auch keinen berufsrechtlichen Lenkungszweck vor, der die Steuerbefreiung für Heil und Heilhilfsberufe von ihrer beruflichen Qualifikation abhängig machen würde. Vielmehr ist erkennbarer Zweck dieser Norm allein die Entlastung der Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer.

2. Auch die Verwaltungspraxis der Umsatzsteuerbefreiung richtete sich nicht allein nach berufsrechtlichen Vorgaben. So wurde die Tätigkeit der nicht ärztlichen Psychagogen und Psychotherapeuten ohne Heilpraktikererlaubnis trotz fehlender berufsrechtlicher Regelung als ähnliche heilberufliche Tätigkeit im Sinne des § 4 Nr. 14 UStG behandelt und von der Umsatzsteuer befreit, wenn die Tätigkeit aufgrund einer Zuweisung des Patienten durch einen Arzt und unter dessen Verantwortung ausgeübt wurde. Erst mit Gesetz vom 16. Juni 1998 wurde die schon seit mehreren Legislaturperioden angekündigte berufsrechtliche Regelung für Psychotherapeuten geschaffen.

3. Im Ergebnis ist deshalb kein sachlich rechtfertigender Grund ersichtlich, dem Bf die Steuerbefreiung zu versagen, wenn Leistungen eines Heileurythmisten in der Regel von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden. Dies wird im erneuten fachgerichtlichen Verfahren zu prüfen sein.