Bundesverfassungsgericht

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Rechtsschutz bei Verfahrenserledigung nach fehlerhafter Sachbehandlung durch ein Gericht

Pressemitteilung Nr. 8/2007 vom 26. Januar 2007

Beschluss vom 27. Dezember 2006
2 BvR 803/05

Der Beschwerdeführerin, die ihren Sohn in der Justizvollzugsanstalt besuchen wollte, wurde der Zutritt zur Anstalt mit dem Hinweis verweigert, gegen sie sei ein vierwöchiges Hausverbot verhängt. Hiergegen erhob sie "Beschwerde" zum Amtsgericht und beantragte die sofortige Aufhebung des Hausverbots sowie die Festsetzung eines neuen Besuchstermins. Das Amtsgericht nahm an, die Angelegenheit falle nicht in die Zuständigkeit des Haftrichters nach § 119 Abs. 6 StPO, sondern nach anderen Vorschriften (§§ 23 ff. Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz - EGGVG -) in die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts, und leitete die Sache an dieses weiter. Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft in einer Stellungnahme zu dem Antrag Zweifel an der Antragsberechtigung der Beschwerdeführerin nach §§ 23 ff. EGGVG angemeldet hatte, behandelte das Oberlandesgericht die Eingabe als Dienstaufsichtsbeschwerde und veranlasste, ohne die Beschwerdeführerin hiervon zu unterrichten, die Weiterleitung an die Justizvollzugsanstalt. Nach Ablauf des vierwöchigen Hausverbots wies die Justizvollzugsanstalt die Dienstaufsichtsbeschwerde zurück. Daraufhin beantragte die Beschwerdeführerin beim Oberlandesgericht, festzustellen, dass das gegen sie verhängte Hausverbot und sein Vollzug rechtswidrig gewesen seien. Die Generalstaatsanwaltschaft nahm zu dem Antrag dahingehend Stellung, dass das Hausverbot einer gerichtlichen Überprüfung nicht unterliege, sondern nur mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde angreifbar sei. Das Oberlandesgericht wies den Antrag als unzulässig zurück, weil das Hausverbot sich erledigt und die Beschwerdeführerin an der Feststellung der Rechtswidrigkeit kein berechtigtes Interesse habe.

Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hob den Beschluss des Oberlandesgerichts auf, da er die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz und ihrem Anspruch auf ein faires Verfahren verletze.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Mit der Verpflichtung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes und den Anforderungen eines fairen Verfahrens ist es unvereinbar, wenn Gerichte dem Betroffenen eine Entscheidung zur Sache wegen Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzbegehrens versagen, nachdem sie selbst durch verfahrensfehlerhafte Behandlung des zugrunde liegenden Antrags verhindert haben, dass eine gerichtliche Entscheidung vor Erledigung zustande kam.

Das Oberlandesgericht hat bei der Prüfung des Feststellungsinteresses den Umstand nicht berücksichtigt, dass es die zum Amtsgericht erhobene "Beschwerde" der Beschwerdeführerin in der Zeit bis zur Erledigung nicht sachgemäß behandelt und dadurch eine Entscheidung vor Eintritt der Erledigung verhindert hat. Die Behandlung des Schreibens der Beschwerdeführerin als Dienstaufsichtsbeschwerde war unsachgemäß. Es war unschwer als Antrag auf eine gerichtliche Entscheidung zu erkennen. Das Schreiben war an das Amtsgericht adressiert, enthielt förmliche Anträge in der Sache und ein Beweisangebot. Optisch hervorgehoben verlangte die Beschwerdeführerin eine sofortige Entscheidung. Nach alledem durfte das Oberlandesgericht nicht davon ausgehen, es handle sich um eine Dienstaufsichtsbeschwerde. Auch Zweifel des Oberlandesgerichts, ob die "Beschwerde" als Antrag nach § 23 EGGVG zulässig war, rechtfertigten die Behandlung als Dienstaufsichtsbeschwerde nicht. Die Annahme, das Hausverbot sei für die Beschwerdeführerin nur im Wege der Dienstaufsichtsbeschwerde angreifbar, wäre mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG offensichtlich nicht vereinbar. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin von der Behandlung des Antrags als Dienstaufsichtsbeschwerde nicht in Kenntnis gesetzt und damit außerstande gesetzt wurde, ihrerseits auf eine zeitgerechte gerichtliche Entscheidung hinzuwirken. Angesichts dieser vorausgegangenen Fehlbehandlung, die zur Folge hatte, dass vor Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzbegehrens der geltend gemachte Anspruch der Beschwerdeführerin von keinem Gericht inhaltlich geprüft wurde, durfte das Oberlandesgericht nach eingetretener Erledigung ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse der Beschwerdeführerin nicht verneinen.