BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvE 4/25 -
Alt-Bundestag IV - eA
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren
über
die Anträge festzustellen,
1. dass der aus der Amtlichen Mitteilung der Präsidentin des Deutschen Bundestages vom 6. März 2025 ersichtliche Zeitplan für eine Beratung eines Gesetzentwurfs zur Änderung des Grundgesetzes (BTDrucks 20/15096, 20/15098 und 20/15099) die Antragstellerin in ihren Rechten aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz auf gleichberechtigte Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren verletzt,
2. dass die mit der Amtlichen Mitteilung der Präsidentin des Deutschen Bundestages vom 6. März 2025 ausgesprochene Ladung zu Sitzungen des Deutschen Bundestages für den 13. März 2025 sowie den 18. März 2025 die Antragstellerin in ihren Rechten aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz auf Ausübung des freien Mandats in Verbindung mit Artikel 39 Absatz 3 Satz 3 Grundgesetz (Selbstversammlungsrecht) verletzt
Antragstellerin:
Joana Cotar, MdB,
Platz der Republik 1, 11011 Berlin,
Antragsgegner:
Deutscher Bundestag,
vertreten durch die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas,
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
- Bevollmächtigter: (…) -
und Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hier: Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Vizepräsidentin König,
Maidowski,
Langenfeld,
Wallrabenstein,
Fetzer,
Offenloch,
Frank,
Wöckel
am 13. März 2025 beschlossen:
Die Anträge werden abgelehnt.
G r ü n d e :
A.
1
Die Antragstellerin ist fraktionslose Abgeordnete des 20. Deutschen Bundestages. Sie wendet sich mit ihrer Organklage und ihren Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Wesentlichen gegen die Anberaumung und Durchführung konkreter Sondersitzungen des 20. Deutschen Bundestages nach der bereits erfolgten Wahl zum 21. Deutschen Bundestag, in denen über mögliche Grundgesetzänderungen beraten werden soll (vgl. zum Sachverhalt BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 13. März 2025 - 2 BvE 3/25 -, Rn. 2 ff. – Alt-Bundestag I).
I.
2
1. Zur Begründung ihrer Eilanträge führt die Antragstellerin unter Heranziehung der Maßstäbe des Beschlusses des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Juli 2023 - 2 BvE 4/23 (BVerfGE 166, 304 <327 ff. Rn. 83 ff.> – Gebäudeenergiegesetzänderungsgesetz – eA) aus, ihre Organklage sei weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
3
Sie sei wegen zu kurzfristig zur Verfügung gestellter Unterlagen und der Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens in seiner Gesamtheit nicht in der Lage, gleichberechtigt an der politischen Willensbildung mitzuwirken. Die Drucksachen zur ersten Lesung hätten im Zeitpunkt der Antragstellung am 10. März 2025 noch nicht vorgelegen. Die Fristen zur Prüfung und Überlegung seien insbesondere deshalb nicht angemessen, weil die aus dem Bundestag ausscheidenden Abgeordneten keine Büros mehr im Bundestag hätten und die Beschäftigungsverhältnisse mit den persönlichen Mitarbeitern abgewickelt würden, weshalb ihr kein persönlicher Mitarbeiter mehr zur Verfügung stehe. Das Ressourcenungleichgewicht fraktionsloser Abgeordneter gegenüber fraktionsgebundenen Abgeordneten, die auf den Mitarbeiterstab der Fraktion zurückgreifen könnten, werde dadurch noch einmal verstärkt und könne auch nicht anderweitig ausgeglichen werden. Angesichts des abweichenden Geschäftsgangs stehe bislang auch kein Ansprechpartner des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zur Verfügung. Keiner der Initiatoren des streitbefangenen Gesetzgebungsverfahrens nenne einen sachlichen Grund für dessen engen zeitlichen Ablauf. Die äußeren Umstände des Verfahrens sprächen für das Fehlen eines sachlichen Grundes.
4
Der 20. Deutsche Bundestag sei nicht ordnungsgemäß zu den Sondersitzungen einberufen worden, weil die Voraussetzungen des Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG ohne Unterzeichnung des Einberufungsantrags durch die einzelnen Abgeordneten nicht vorgelegen hätten und die Bundestagspräsidentin den Bundestag nicht aus eigenem Recht einberufen könne.
5
2. Zur Begründung ihrer Anträge in der Hauptsache verweist die Antragstellerin auf die vorangestellten Erwägungen.
II.
6
Der Antragsgegner und die Bundesregierung haben Stellung genommen. Der Bundespräsident und der Bundesrat hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
B.
7
Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben keinen Erfolg.
8
Ungeachtet der Frage, ob die Anträge in der Hauptsache unzulässig oder offensichtlich unbegründet sind, ist eine einstweilige Anordnung schon deshalb nicht zu erlassen, weil jedenfalls die vorzunehmende Folgenabwägung (vgl. BVerfGE 166, 304 <323 Rn. 69>; stRspr) ergibt, dass die für einen Erlass sprechenden Gründe nicht überwiegen.
9
Erginge eine einstweilige Anordnung und bliebe den Anträgen in der Hauptsache der Erfolg versagt, käme es zu einem erheblichen Eingriff in die Autonomie des Parlaments und damit in die originäre Zuständigkeit eines anderen obersten Verfassungsorgans. Hiervon ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich abzusehen. In der vorliegenden Konstellation steht dem 20. Deutschen Bundestag außerdem nur ein enger Zeitrahmen für eine dem Recht der Abgeordneten auf informierte Beratung durch längere Beratungsfristen besser Rechnung tragende Verfahrensgestaltung zur Verfügung. Dieser Zeitrahmen wird durch die Konstituierung des 21. Deutschen Bundestages begrenzt, die spätestens am 30. Tag nach der Wahl erfolgt (Art. 39 Abs. 2 GG). Eine einstweilige Anordnung, die eine Beschlussfassung zum vorgesehenen Zeitpunkt untersagt, hätte damit nicht eine Entschleunigung, sondern voraussichtlich die endgültige Verhinderung der Beschlussfassung zur Folge. Die Abgeordneten des 20. Deutschen Bundestages, die eine Beschlussfassung anstreben, würden ihr aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG folgendes Recht auf Beschlussfassung endgültig und unwiederbringlich verlieren.
10
Erginge eine einstweilige Anordnung nicht und hätten die Anträge in der Hauptsache Erfolg, käme es zu einer irreversiblen, substantiellen Verletzung des geltend gemachten Rechts der Antragstellerin auf gleichberechtigte Teilhabe an der parlamentarischen Willensbildung. Der Antragstellerin wäre unwiederbringlich die Möglichkeit genommen, bei den Beratungen und der Beschlussfassung ihre Mitwirkungsrechte im verfassungsrechtlich garantierten Umfang wahrzunehmen. Hinzu kommt, dass auch unter Berücksichtigung der in der Geschäftsordnung des Bundestages vorgesehenen Möglichkeiten, auf die Verfahrensgestaltung Einfluss zu nehmen, das Recht weiterer Abgeordneter auf informierte Beratung verletzt sein könnte.
11
Im Ergebnis überwiegen bei der Folgenabwägung die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe nicht. Sowohl bei Erlass als auch bei Nicht-Erlass einer einstweiligen Anordnung würden Abgeordnetenrechte verletzt. In beiden Fällen ist einzustellen, dass diese Rechtsverletzungen irreversibel wären. Ein Eingriff in die Verfahrensautonomie des Bundestages wöge hier im Übrigen besonders schwer, weil die reale Gefahr bestünde, dass die Beschlussfassung über die eingebrachte Gesetzesvorlage wegen des Grundsatzes der Diskontinuität endgültig unmöglich wird.
- König
- Maidowski
- Langenfeld
- Wallrabenstein
- Fetzer
- Offenloch
- Frank
- Wöckel