BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 402/87 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der R... GmbH |
- Bevollmächtigte:
1. Rechtsanwalt Hans-Jürgen P. Groth, Wentzelstraße 8, Hamburg 60,
2. Rechtsanwalt Sieghart Ott, Kurfürstenstraße 22, München 40 -
gegen |
a) |
das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. März 1987 - BVerwG 1 C 27.85 -, |
b) |
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. Juni 1985 - 20 A 146/84 -, |
c) |
das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 18. Oktober 1983 - 10 K 276/83 -, |
d) |
die Entscheidung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften vom 4. November 1982 - 3262 - (Pr. 44/79) - |
hier: Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluß 1) vom 7. Januar 1992 |
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung
des Präsidenten Herzog,
der Richter Henschel,
Seidl,
Grimm,
Söllner,
Dieterich,
Kühling
und der Richterin Seibert
am 3. November 1992 beschlossen:
- Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
I.
1. Die Beschwerdeführerin legte durch gesonderte Schriftsätze des Rechtsanwaltes G. aus Hamburg und des Rechtsanwaltes O. aus München vom 31. März 1987 Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften sowie verwaltungsgerichtliche Urteile ein. Die Bundesprüfstelle hatte den von der Beschwerdeführerin verlegten Roman "Josefine Mutzenbacher - Die Lebensgeschichte einer wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt" in die Liste jugendgefährdender Schriften aufgenommen. Die dagegen erhobene verwaltungsgerichtliche Klage hatte in allen drei Instanzen keinen Erfolg.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügte die Beschwerdeführerin hauptsächlich eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Darüber hinaus beanstandete sie, daß der Gesetzgeber die Zusammensetzung der Bundesprüfstelle in verfassungsrechtlich unzureichender Weise geregelt habe (vgl. BVerfGE 83, 130 <135 f.>). Die Rüge der Verletzung der Kunstfreiheit wurde sowohl von Rechtsanwalt G. als auch von Rechtsanwalt O. ausführlich begründet. Zu dem weiteren Beschwerdegrund hatte nur Rechtsanwalt G. Stellung genommen.
Das Bundesverfassungsgericht hob die angegriffenen Entscheidungen der Bundesprüfstelle und der Verwaltungsgerichte mit Beschluß vom 27. November 1990 auf, weil diese das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verletzten. Darüber hinaus wurde entschieden, daß § 9 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar ist. In der Entscheidung wurde angeordnet, daß das Land Nordrhein-Westfalen und die Bundesrepublik Deutschland der Beschwerdeführerin jeweils die Hälfte der notwendigen Auslagen zu erstatten haben.
2. Mit Schriftsätzen vom 28. August 1991 und 3. September 1991 beantragte die Beschwerdeführerin die Erstattung der Kosten für beide Verfahrensbevollmächtigte. Nach Einholung von Stellungnahmen des Bundesministers für Frauen und Jugend sowie des Justizministers des Landes Nordrhein-Westfalen setzte die Rechtspflegerin nur die Kosten eines Verfahrensbevollmächtigten als erstattungsfähige notwendige Auslagen fest. Der weitergehende Kostenfestsetzungsantrag wurde mit der Begründung zurückgewiesen, daß den hohen Anforderungen, die wegen des herausragenden Ranges der Angelegenheit an die anwaltliche Tätigkeit hätten gestellt werden müssen, bereits bei der Festsetzung des Gegenstandswertes der anwaltlichen Tätigkeit auf 1 Million Deutsche Mark umfassend Rechnung getragen worden sei.
Mit ihrer Erinnerung begehrt die Beschwerdeführerin weiterhin die Erstattung der Kosten eines zweiten Rechtsanwaltes.
Der Bundesminister für Frauen und Jugend hält die angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschlüsse für rechtens. Der Rechtspfleger hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
II.
Die Erinnerung ist nach §§ 11 Abs. 1, Abs. 2 Sätze 1 bis 3, 21 Nr. 1 RPflG zulässig. In der Sache hat der Rechtsbehelf jedoch keinen Erfolg.
Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz definiert nicht, was unter "notwendigen Auslagen" im Sinne von § 34 a Abs. 2 BVerfGG zu verstehen ist. Im allgemeinen werden darunter diejenigen Auslagen verstanden, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht entstanden sind. Die Erstattungsfähigkeit einer geltend gemachten Auslage hängt maßgeblich davon ab, ob sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung "notwendig" war. Diese Frage kann nicht im Wege eines schematischen Rückgriffs auf § 91 ZPO entschieden werden. Vielmehr sind auch die Besonderheiten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 46, 321 <323>; 81, 387 <389>).
Im vorliegenden Fall bestehen allerdings keine Gründe, die eine Abweichung von dem in § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO enthaltenen Grundsatz rechtfertigen, daß die Kosten mehrerer Rechtsanwälte nur insoweit zu erstatten sind, als sie die Kosten eines Rechtsanwaltes nicht übersteigen. Zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Beschwerdeführerin war es nicht erforderlich, daß sie neben dem Rechtsanwalt G., der ihr "Hausanwalt" ist, noch den in München ansässigen Rechtsanwalt O. mit der Begründung der Verfassungsbeschwerde beauftragte. Da Rechtsanwalt G. ständig für das Verlagshaus der Beschwerdeführerin tätig ist, mußte er grundsätzlich in der Lage sein, die gerügte Verletzung der Kunstfreiheit substantiiert zu begründen. Er hat zu dieser Rüge in der Beschwerdeschrift vom 31. März 1987 auch tatsächlich ausführlich auf den Seiten 5 bis 21 Stellung genommen. Insbesondere hat er sich im einzelnen mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Kunstfreiheit auseinandergesetzt. Ferner wurde unter Heranziehung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im einzelnen dargelegt, aus welchen Gründen der indizierte Roman als Kunst im Sinne der Verfassung zu gelten habe. Zum Erfordernis einer konkreten Abwägung zwischen dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und möglicherweise beeinträchtigten konkurrierenden Grundrechten wurden ebenfalls Ausführungen gemacht. Das zeigt, daß Rechtsanwalt G. zur verfassungsrechtlichen Beurteilung aller wesentlichen Gesichtspunkte in der Lage war. Unter diesen Umständen war die Beauftragung eines weiteren Rechtsanwaltes, selbst wenn dieser auf dem Gebiet der Kunstfreiheit über besondere Sachkunde verfügt, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht mehr notwendig. Die Rechtspflegerin hat daher mit Recht die beantragte Festsetzung der Kosten zweier Rechtsanwälte als erstattungsfähige notwendige Auslagen abgelehnt.
Herzog | Henschel | Seidl | |||||||||
Grimm | Söllner | Dieterich | |||||||||
Kühling | Seibert |