BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2013/00 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn J...
Charlottenstraße 61, 14467 Potsdam -
gegen a) | den Beschluss des
Landgerichts Potsdam vom 19. September 2000 - 23 Qs 63/00
-, |
b) | den Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 23. März 2000 - 77 Gs 22/00 - |
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Präsidentin Limbach
und die Richter Hassemer,
Mellinghoff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 7. Mai 2001 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Durchsuchung einer Anwaltskanzlei und die Beschlagnahme einer anwaltlichen Handakte.
1. Der Beschwerdeführer ist als Rechtsanwalt freier Mitarbeiter in einer Anwaltskanzlei. Er hatte ein zivilrechtliches Beratungsmandat für die - inzwischen insolvente - Firma L. GmbH, die Werkleistungen für die Immobiliengesellschaft B. GmbH & Co. erbracht hatte.
Eine Gläubigerin der Firma L. GmbH, die Firma B. GmbH, erstattete Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer und den von diesem anwaltlich beratenen Geschäftsführer L. wegen Verdachts der Beteiligung am gemeinschaftlich begangenen Betrug. Der Beschwerdeführer habe der Firma B. GmbH durch ein anwaltliches Schreiben vorgespiegelt, er mache klageweise Forderungen gegen "Endkunden" geltend und werde die Forderungen der Firma B. GmbH aus dem Erlös befriedigen. Dadurch habe er in Kenntnis der drohenden Insolvenz der Firma L. GmbH die Firma B. GmbH davon abgehalten, ihre eigenen Forderungen rechtzeitig geltend zu machen; diese Forderungen seien im Insolvenzverfahren ausgefallen, so dass ein Schaden in Höhe von 24.000 DM entstanden sei.
2. Auf Grund des in dieser Strafanzeige genannten Sachverhalts ordnete das Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch Beschluss vom 19. Januar 2000 die Durchsuchung u.a. der Räume der Rechtsanwaltskanzlei an, um die Handakten in Sachen L. GmbH zu suchen und zu beschlagnahmen. Die Durchsuchung wurde kurz darauf durchgeführt und die genannte Handakte beschlagnahmt. Durch den angegriffenen Beschluss vom 23. März 2000 bestätigte das Amtsgericht diese Beschlagnahme.
3. Der Beschwerdeführer erhob hiergegen Beschwerde. Er wandte gegen die Durchsuchung ein, dass er weder Eigentum noch Gewahrsam an der Akte gehabt habe; beides stehe den Inhabern der Anwaltskanzlei zu. Es fehle an einem Anfangsverdacht des Betruges. Die zivilrechtliche Lage, einschließlich der Forderungsberechtigung der Anzeigeerstatterin, sei ungeklärt. Für einen Betrugsvorsatz fehle jeder Anhaltspunkt. Die Durchsuchung in der Anwaltskanzlei ohne vorherige Nutzung anderer Aufklärungsmöglichkeiten sei unverhältnismäßig und willkürlich.
Das Landgericht verwarf die Beschwerde als unbegründet. Der Beschlagnahme stehe kein Beschlagnahmeverbot gemäß § 97 Abs. 1 StPO entgegen, da § 97 Abs. 2 Satz 2 StPO eingreife. Es lägen Anhaltspunkte für einen Betrug vor, da der Beschwerdeführer der Anzeigeerstatterin schriftsätzlich mitgeteilt habe, "dass wir Werklohnansprüche in Ihre Forderung übersteigender Höhe mit Aussicht auf Erfolg beim Endkunden gerichtlich geltend machen", um daraus die Forderung der Anzeigeerstatterin zu befriedigen; tatsächlich sei eine solche Klage weder bei Gericht eingereicht worden noch sei eine solche Klage aussichtsreich erschienen. Für die Unrichtigkeit der Mitteilung spreche auch die Tatsache, dass die Firma L. GmbH kurz darauf beim Insolvenzgericht einen Antrag auf Gesamtvollstreckung gestellt habe. Für die weitere Sachaufklärung sei der beschlagnahmte Aktenordner als Beweismittel von Bedeutung. Die Beschlagnahme sei verhältnismäßig.
II.
Der Beschwerdeführer macht mit der Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen über die Bestätigung der Beschlagnahme und die Beschwerdeentscheidung geltend, sein Recht auf freie Berufsausübung aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG sei verletzt. Die Staatsanwaltschaft habe ihm keine Akteneinsicht gewährt, sodass Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip verletzt seien. Aus der Vorgehensweise werde eine Tendenz der Staatsanwaltschaft zur Willkür erkennbar. Die Entscheidung des Landgerichts sei nicht nachvollziehbar begründet worden. Ein Anfangsverdacht liege nicht vor, weil tatsächliche Anhaltspunkte für einen Betrugsvorsatz fehlten. Das Landgericht habe rechtlich nicht geprüft, wann berufstypisches Handeln eine Beteiligung an einer Straftat darstelle. Tatsächlich habe er Klage gegenüber der B. GmbH & Co. eingereicht. Der Durchsuchungsbeschluss genüge nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen; die Beschwerdeentscheidung halte den Verfassungsverstoß aufrecht.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt; denn sie hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Die Versagung der Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft ist kein Mangel der angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen. Die Fachgerichte hatten im Ausgangsverfahren keinen Einfluss auf die Entscheidung nach § 147 Abs. 2 StPO, denn im Ermittlungsverfahren liegt die Verfahrensherrschaft bei der Staatsanwaltschaft. Im Übrigen ist dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht Rechnung getragen worden, weil die Versagung der Akteneinsicht nicht mit den hiergegen gegebenen Rechtsbehelfen beanstandet wurde (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 147 Rn. 39). Die behauptete staatsanwaltschaftliche Willkür ist im Übrigen irrelevant, wenn sie sich nicht auf die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen ausgewirkt hat. Dafür ist nichts ersichtlich.
2. Die auf Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG gestützte Rüge ist unbegründet. Die Berufsausübungsfreiheit schützt den Berufstätigen nicht davor, dass er wegen der Begehung von Straftaten bei Gelegenheit seiner Berufsausübung der staatlichen Strafverfolgung unterworfen wird (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 2000 - 2 BvR 291/92 -, NJW 2000, S. 3557 f.).
3. Die Annahme des Beschwerdeführers, dass die Beschlagnahme nicht tragfähig begründet sei, trifft nicht zu.
a) Die Entscheidung des Amtsgerichts vom 19. Januar 2000 wird in der Verfassungsbeschwerde-Begründung nur teilweise wieder gegeben. Diese Entscheidung enthielt eine Beschlagnahmeanordnung. Eine solche ist zwar dann nicht schon vor der Durchsuchung möglich, wenn der gesuchte Gegenstand zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausreichend konkretisiert werden kann. Anders ist es jedoch, wenn bereits zur Zeit der ersten ermittlungsrichterlichen Entscheidung der Gegenstand, auf den sich der künftige Zugriff beziehen soll, ausreichend gekennzeichnet werden kann (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 105 Rn. 7). So war es im Ausgangsverfahren. Daher konnte die Beschlagnahme im Beschluss vom 19. Januar 2000 formgerecht angeordnet werden. Der angegriffene Beschluss vom 23. März 2000 über die Bestätigung der Beschlagnahme bedurfte insoweit keiner weiter gehenden Begründung.
b) Der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts liegt eine tragfähige Begründung des Anfangsverdachts eines Vergehens nach §§ 263 Abs. 1, 25 Abs. 1 und 2 StGB zu Grunde. Eine ins Einzelne gehende Nachprüfung ist nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts. Es kann nur eingreifen, wenn die Auslegung und Anwendung der einfach-rechtlichen Bestimmungen über die prozessualen Voraussetzungen des Verdachts (§§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO) als Anlass für die strafprozessuale Zwangsmaßnahme und die strafrechtliche Bewertung der Verdachtsgründe objektiv willkürlich sind oder Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte des Beschwerdeführers beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 ff.> und stRspr). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Der Anfangsverdacht als Eingriffsvoraussetzung im Sinne des § 94 Abs. 2 StPO muss eine Tatsachengrundlage haben, aus der sich die Möglichkeit der Tatbegehung durch den Beschuldigten ergibt, ohne dass es auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit ankommt; nur eine bloße Vermutung würde nicht ausreichen. Andererseits muss sich aus den Umständen, die den Anfangsverdacht ergeben, nicht bereits eine genaue Tatkonkretisierung ergeben. In der angegriffenen Beschwerdeentscheidung ist die Sachverhaltsannahme zu Grunde gelegt worden, der Beschwerdeführer habe die Anzeigeerstatterin bewusst wahrheitswidrig auf eine angebliche Klageerhebung gegenüber "Endkunden" hingewiesen, die auch zu deren Befriedigung führen solle; dadurch habe er deren Verhalten beeinflusst. Dafür werden die Mitteilungen in der Strafanzeige, der Schriftsatz des Beschwerdeführers und der Antrag seiner Mandantin auf Gesamtvollstreckung als Indizien genannt. Dies reicht in tatsächlicher Hinsicht für einen Anfangsverdacht aus. Die Klageerhebung gegen die B. GmbH & Co. ist insoweit unerheblich.
Rechtlich enthält diese Tatbeschreibung in der angegriffenen Entscheidung Anhaltspunkte für ein Vergehen des Betruges. Hatte der Beschwerdeführer bei der Täuschungshandlung durch das Schreiben an die Anzeigeerstatterin eigenhändig tatbestandsmäßig gehandelt (§ 25 Abs. 1 - 1. Alt. - StGB), so kam bei einem Handeln in Drittbereicherungsabsicht im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB Täterschaft in Betracht; die ergänzende Frage des Zusammenwirkens mit dem Mandanten im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB war insoweit nicht von Bedeutung. Einer Abgrenzung von Beihilfe zu straflos-neutralem Handeln bedurfte es nicht. Bei dem Verhalten, das den angegriffenen Entscheidungen zu Grunde gelegt wurde, handelt es sich auch nicht um ein "berufstypisches Verhalten" (vgl. dazu BGHSt 46, 107 ff.; BGH, Urt. vom 8. März 2001 - 4 StR 453/00 -).
4. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist nicht verletzt. Lag die Täuschungshandlung im anwaltlichen Schreiben des Beschwerdeführers an den potentiellen Prozessgegner seiner Mandantin, so war in erster Linie die Beschlagnahme der Unterlagen des Beschwerdeführers als Beweismittel dazu geeignet, den sich hierauf beziehenden Vorwurf zu klären. Andere, hinsichtlich ihrer Aussagekraft für den genannten Vorgang ebenso geeignete Beweise waren nicht zu erlangen.
Das Problem des Schutzes des Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandant vor einem Beschlagnahmezugriff auf mandatsbezogene Unterlagen (vgl. BVerfGE 44, 353 <372 ff.>) stellt sich nicht, wenn der Verdacht auf ein kollusives Zusammenwirken von Mandant und Rechtsanwalt oder eine Täterschaft des Rechtsanwalts ausgerichtet ist.
5. Die Anordnung der Durchsuchung ist nicht in zulässiger Weise mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen worden. Zum Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts vom 19. Januar 2000, der auch nicht insgesamt mitgeteilt wurde, fehlt ein entsprechender Antrag nach § 23 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Bezüglich der Beschwerdeentscheidung wurde nicht dargelegt, inwieweit subjektive Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 13 Abs. 1 GG durch die Durchsuchung der Kanzlei B. verletzt worden sein sollen (vgl. BVerfG, Urt. vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00 -, Umdruck S. 11 f.).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Limbach | Hassemer | Mellinghoff |