BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 870/93 -
- 1 BvR 906/93 -
Im Namen des Volkes
In den Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
1. des Herrn W...,
Hubertstraße 292, 45307 Essen -
- 1 BvR 870/93 -,
2. des Herrn E...
Bült 4, 48143 Münster -
- 1 BvR 906/93 -
gegen a) | den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 23. April 1993 - 4 Ss 191/93 -, |
b) | das Urteil des Landgerichts Münster vom 17. November 1992 - 2 Ns 46 Js 161/89 - (5/92) -, |
c) | das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 22. April 1992 - 4 Ss 1286/91 - |
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Papier
und die Richter Steiner,
Hoffmann-Riem
am 13. Dezember 2001 einstimmig beschlossen:
Das Urteil Oberlandesgerichts Hamm vom 22. April 1992 - 4 Ss 1286/91 -, das Urteil des Landgerichts Münster vom 17. November 1992 - 2 Ns 46 Js 161/89 - (5/92) - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 23. April 1993 - 4 Ss 191/93 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat den Beschwerdeführern die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden betreffen strafgerichtliche Verurteilungen wegen Volksverhetzung und Beleidigung der Bundeswehr und einzelner Soldaten durch die Äußerung "Soldaten sind Mörder".
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93 c Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer aus Art. 5 Abs. 1 GG angezeigt ist.
Die angegriffenen Entscheidungen sind vor dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 1995 - BVerfGE 93, 266 - ergangen und konnten die dort entwickelte Rechtsprechung daher nicht berücksichtigen. Dementsprechend enthalten sie keine verfassungsrechtlich tragfähigen Feststellungen dazu, dass mit dem hochgehaltenen, in Bild und Text nicht auf Soldaten oder Symbole der Bundeswehr verweisenden Plakat gerade die Soldaten der Bundeswehr gemeint und als Mörder bezeichnet worden waren. Das Landgericht hat das Plakat so gedeutet, dass alle Soldaten gemeint seien und die Abbildung gleichsam den "Universal/Soldier" darstelle und damit denknotwendig die bei der Veranstaltung anwesenden Bundeswehrsoldaten mitumfasse. Die universale Gültigkeit einer Aussage ergibt jedoch nicht den Bezug gerade auf die Soldaten der Bundeswehr (vgl. BVerfGE 93, 266 <308>). Der dem Plakat beigefügte Text wurde zu Unrecht aus der Deutung ausgenommen.
Die verfassungsrechtlichen Defizite bei der Deutung der Äußerung wirken sich nicht nur auf die Verurteilung wegen Beleidigung (§ 185 StGB) aus. In gleicher Weise wird die Verurteilung wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB) betroffen, da diese auf der Annahme beruht, die Beschwerdeführer hätten einen Angriff auf die Menschenwürde gerade von Bundeswehrsoldaten unternommen.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Gerichte bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ergebenden Vorgaben zu anderen Ergebnissen gekommen wären, beruhen die angegriffenen Entscheidungen auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Sie sind daher aufzuheben; zudem ist die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
Die Auslagenentscheidung folgt aus § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier | Steiner | Hoffmann-Riem |