BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2529/05 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau J...,
Pohlstraße 28, 10785 Berlin -
gegen a) | den Beschluss des Kammergerichts vom 28. Oktober 2005 - 18 UF 211/05 -, |
b) | den Beschluss des Amtsgerichts Pankow/Weißensee vom 18. Juli 2005 - 11 F 7095/04 -, |
c) | den Beschluss des Amtsgerichts Pankow/Weißensee vom 13. Juli 2005 - 11 F 7095/04 - |
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier,
die Richterin Hohmann-Dennhardt
und den Richter Hoffmann-Riem
am 10. August 2006 einstimmig beschlossen:
- Die Beschlüsse des Kammergerichts vom 28. Oktober 2005 – 18 UF 211/05 - und des Amtsgerichts Pankow/Weißensee vom 13. Juli 2005 und vom 18. Juli 2005 – 11 F 7095/04 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Kammergerichts wird aufgehoben und die Sache an das Kammergericht zurückverwiesen.
- Das Land Berlin hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen im Verfahren der Verfassungsbeschwerde zu erstatten.
- Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit im Verfahren der Verfassungsbeschwerde wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Beschwerdeführerin ist die Mutter eines im Februar 1994 geborenen Sohnes und wendet sich gegen die Entziehung der ihr für dieses Kind zustehenden alleinigen elterlichen Sorge.
1. a) Mit Beschluss vom 13. Juli 2005 entzog das Amtsgericht der Beschwerdeführerin nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens im Wege der einstweiligen Anordnung die elterliche Sorge für ihren Sohn und übertrug sie einem Vormund. Dem Gutachten zufolge sei der angeordnete Eingriff in das Sorgerecht der Beschwerdeführerin zumindest wegen elterlichen Versagens zur Abwendung der dem Kind drohenden Gefahr dringend erforderlich. Durch telefonische Auskunft des Jugendamts und der Sachverständigen sowie das Ergebnis der Anhörung in dem Termin vom 24. Januar 2005 sei glaubhaft gemacht, dass die Beschwerdeführerin sich mit dem Kind "absetzen" würde.
b) Nachdem sich am 9. Juli 2005 ein für die Beschwerdeführerin zuvor zur Bewältigung ihrer Verschuldung bestellter Einzelfallhelfer schriftlich an das Amtsgericht gewandt und die Einsetzung eines männlichen Familienhelfers befürwortet hatte, hielt das Amtsgericht mit Beschluss vom 18. Juli 2005 die einstweilige Anordnung in der Hauptsache aufrecht. Nach dem Ergebnis der Begutachtung sei das Kindeswohl durch ein Defizit der Erziehungsfähigkeit der Beschwerdeführerin gefährdet. Sie ergreife keine ausreichenden Maßnahmen, um den Schulbesuch ihres Sohnes sicherzustellen, beaufsichtige ihn nicht hinreichend und vernachlässige seine Gesundheitssorge. Mildere Mittel stünden nicht zur Verfügung. Auch wenn die Beschwerdeführerin erkläre, zur Annahme in der Vergangenheit nachhaltig abgelehnter staatlicher Hilfen nunmehr bereit zu sein, habe eine tief greifende Veränderung ihrer Einsicht nicht beobachtet werden können.
c) Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Kammergericht mit Beschluss vom 28. Oktober 2005 zurück. Das Erziehungsversagen der Beschwerdeführerin unter Vernachlässigung ihres Sohnes in wichtigen Teilbereichen sei anhaltend und vielfältig. Nach den Erfahrungen der Vergangenheit und unter Berücksichtigung der Persönlichkeit der Beschwerdeführerin sei derzeit und für die Zukunft ohne Sorgerechtsentziehung eine nachhaltige Gefährdung des Sohnes nicht auszuschließen. Neben dem von der Beschwerdeführerin nicht rechtzeitig beobachteten und abgestellten Schulschwänzen unter Herumstreunen und den Verspätungen beim Schulbesuch habe die Beschwerdeführerin auch die körperliche Hygiene des Sohnes und seine Gesundheitsfürsorge in wichtigen Teilbereichen vernachlässigt. Der daraus resultierende Körpergeruch und die Verschmutzungen seien vielfach von Lehrern und Ärzten festgestellt worden, wie dies die Sachverständige zutreffend belege. All dies habe zur Stigmatisierung des Jungen in der Schule beigetragen, unter der der Sohn nach seinen eigenen Angaben nachhaltig gelitten habe. Eine aufgrund des Zustandes der Zähne dringend erforderliche zahnärztliche Behandlung habe die Beschwerdeführerin trotz vielfacher Ermahnungen bei dem Sohn nicht durchführen lassen. Ebenfalls wenig Einsatz habe sie auch hinsichtlich des fachärztlichen Aufarbeitens der psychologischen Probleme des Sohnes gezeigt, die sich nach außen durch Einkoten und Magenschmerzen manifestiert hätten. Hinzu komme die teilweise recht dauerhafte mangelhafte Einrichtung, Ordnung und Hygiene der Wohnung, die durch eine kurzfristig vorzunehmende Renovierung nicht zu rechtfertigen seien. In einem Gutachten des sozialpsychiatrischen Dienstes aus dem Jahr 2004 werde bei der Beschwerdeführerin überzeugend ein hirnorganisches Psychosyndrom mit Störungen im Bereich des logischen Denkens und im affektiv-emotionalen Bereich festgestellt. Diese Diagnose schlage "sich beeinträchtigend auf die Erziehungsfähigkeit der Mutter durch". Auch wenn der Sohn in seiner Anhörung angegeben habe, lieber wieder bei seiner Mutter wohnen zu wollen, die er vermisse, habe er zugleich deutlich gemacht, auch eine gerichtliche Entscheidung, bei der derzeitigen Leiterin der Erziehungswohngruppe wohnen zu bleiben, nicht so schlimm zu finden.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 und 3 GG. Die Gründe der angefochtenen Entscheidung des Kammergerichts stünden in deutlichem Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Zweck und zu den Grenzen des staatlichen Wächteramts. Die Entscheidung des Kammergerichts stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Elternrecht der Beschwerdeführerin dar.
3. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde der Regierung des Landes Berlin und dem Beteiligten des Ausgangsverfahrens zugestellt und zugleich Gelegenheit gegeben, zur Höhe des Gegenstandswertes Stellung zu nehmen.
II.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin geboten ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist (§ 93 c Abs. 1 BVerfGG).
1. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.
a) Dieses Grundrecht garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Die Erziehung des Kindes ist damit primär in die Verantwortung der Eltern gelegt, wobei dieses "natürliche Recht" den Eltern nicht vom Staate verliehen worden ist, sondern von diesem als vorgegebenes Recht anerkannt wird. Die Eltern können grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen (vgl. BVerfGE 60, 79 <88>). Diese primäre Entscheidungszuständigkeit der Eltern beruht auf der Erwägung, dass die Interessen des Kindes am besten von den Eltern wahrgenommen werden. Dabei wird sogar die Möglichkeit in Kauf genommen, dass das Kind durch einen Entschluss der Eltern über die Wahl des Bildungsweges Nachteile erleidet, die im Rahmen einer nach objektiven Maßstäben betriebenen Begabtenauslese vielleicht vermieden werden könnten (vgl. BVerfGE 34, 165 <184>). In der Beziehung zum Kind muss aber das Kindeswohl die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein (vgl. BVerfGE 60, 79 <88> m.w.N.).
Eine gerichtliche Entscheidung, nach der die Trennung des Kindes von seinen Eltern vollzogen werden kann, ist mit dem in Art. 6 Abs. 2 und 3 GG gewährleisteten Elternrecht nur dann vereinbar, wenn ein schwerwiegendes - auch unverschuldetes - Fehlverhalten und entsprechend eine erhebliche Gefährdung des Kindeswohls vorliegen. Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern berechtigt den Staat auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommenden Wächteramts (vgl. BVerfGE 7, 320 <323>; 59, 360 <376>), diese von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; 60, 79 <91>). Das elterliche Fehlverhalten muss daher ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>).
Wenn Eltern das Sorgerecht für ihr Kind entzogen und damit zugleich die Aufrechterhaltung der Trennung des Kindes von ihnen gesichert wird, darf dies zudem nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (vgl. BVerfGE 60, 79 <89>). Dieser gebietet es, dass Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs sich nach dem Grad des Versagens der Eltern und danach bestimmen müssen, was im Interesse des Kindes geboten ist. Der Staat muss daher nach Möglichkeit versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen (vgl. BVerfGE 60, 79 <93> m.w.N.).
In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht befunden, dass der Gesetzgeber mit § 1666 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 1666 a BGB eine Regelung geschaffen hat, die es dem Familienrichter ermöglicht, bei Maßnahmen zum Schutze des Kindes auch dem grundgesetzlich verbürgten Elternrecht hinreichend Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 60, 79 <90>).
Grundsätzlich ist die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Ihm obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereiches beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92>; 42, 143 <147 ff.>; 49, 304 <314>; 72, 122 <138>). Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben lassen sich die Grenzen der Eingriffsmöglichkeit des Bundesverfassungsgerichts aber nicht starr und gleich bleibend ziehen. Sie hängt namentlich von der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung ab (vgl. BVerfGE 42, 163 <168>; 72, 122 <138>).
Wird ein Kind von seinen Eltern gegen deren Willen getrennt, so ist dies der stärkste vorstellbare Eingriff in das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, der in gleicher Intensität auch das Kind selbst betrifft. Zugleich liegt in dem Entzug der Personensorge die Feststellung des Gerichts, dass die Eltern als Erziehungsberechtigte versagt haben. Diese Beurteilung ihrer Persönlichkeit berührt die Eltern in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 55, 171 <181>; 60, 79 <91>). Bei dieser Sachlage besteht Anlass, über den grundsätzlichen Prüfungsumfang hinauszugehen. Es können daher auch einzelne Auslegungsfehler nicht außer Betracht bleiben (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>; 72, 122 <138>; 75, 201 <222>).
b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen halten die angefochtenen Beschlüsse nicht stand.
Das Kammergericht hat seine Entscheidung unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Amtsgerichts darauf gestützt, dass das Erziehungsverhalten der Beschwerdeführerin in "wichtigen Teilbereichen" anhaltend und vielfältig ein Versagen darstelle. Dem entsprechend hat nach Einschätzung des Kammergerichts die Summe der festgestellten Verhaltensmängel der Beschwerdeführerin ein solches Gewicht erzeugt, dass sie aus Gründen des Kindeswohls eine vollständige Entziehung des elterlichen Sorgerechts rechtfertigen.
Diese Beurteilung unterliegt durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, weil bedeutsame Umstände des Einzelfalls nicht berücksichtigt und die Bedeutung des Elternrechts und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verkannt wurden.
Das Kammergericht hat zwar hinsichtlich des häufigen unentschuldigten Fehlens des Kindes in der Schule gewürdigt, dass "unter dem Druck des Verfahrens" eine nachhaltige Besserung eingetreten ist. Es hat sich aber nicht damit auseinandergesetzt, dass das Kind ungeachtet der Fehlzeiten während der gesamten bisherigen Schulzeit befriedigende Leistungen zeigte und seine Hausaufgaben meist regelmäßig und ordentlich anfertigte - was durchaus auf entsprechende Betreuungsleistungen der Beschwerdeführerin hindeuten kann.
Im Rahmen der vom Kammergericht angenommenen Vernachlässigung der Gesundheitsfürsorge in "wichtigen Teilbereichen" wurde nicht gewürdigt, dass die Sachverständige berichtet hat, die Beschwerdeführerin sei einer Kinderärztin zufolge mit ihrem Kind seit 1997 regelmäßig in ihre Praxis gekommen, wenn das Kind krank gewesen sei, und mit wenigen Ausnahmen auch zu Kontrollen. Auch auf den Hinweis der Sachverständigen, die Klassenlehrerin des Kindes habe ihr berichtet, das Kind habe sprachlich keine Auffälligkeiten mehr, es spreche relativ normal mit nur einigen Lautverwechslungen, ist das Gericht nicht eingegangen.
Bezüglich der fachärztlichen Aufarbeitung der psychologischen Probleme des Kindes hat die Beschwerdeführerin bereits in der Anhörung vor dem Familiengericht am 18. Juli 2005 – von den anderen Beteiligten unwidersprochen – bekundet, dass sie erfolglos bei dem Jugendamt nachgefragt habe, ob es möglich sei, hierzu einen Kinderpsychologen einzuschalten. Zwar hat die Sachverständige diesbezüglich zutreffend darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin dennoch in eigener Erziehungsverantwortung sei. Indessen greift die weitere hieraus von der Sachverständigen gezogene und vom Kammergericht inzident als eigene übernommene Schlussfolgerung, es sei daher nicht dem Jugendamt, sondern der Beschwerdeführerin anzulasten, dass sie sich nicht regelmäßig an einen Kinderpsychologen gewandt habe, von Verfassungs wegen zu kurz. Aufgrund der Verpflichtung des Staates, das Kindeswohl vorrangig durch auf Wiederbefähigung der leiblichen Eltern ausgerichtete Maßnahmen zu schützen, muss das Jugendamt Eltern, die sich mit solchen Anliegen an es wenden, gerade dann weitest möglich in ihrer fortbestehenden Elternverantwortung unterstützen, wenn sie - wie hier – dazu infolge eigener Einschränkungen nicht alleine in der Lage sind.
Die Gerichte haben ferner darauf abgestellt, dass die Beschwerdeführerin Fremdhilfe nicht annehme. Die Beschwerdeführerin hat demgegenüber schon in ihrer Anhörung vor dem Familiengericht am 18. Juli 2005 erklärt, dass sie bereit sei, im Interesse ihres Sohnes mit einem männlichen Familienhelfer zusammenzuarbeiten, was auch der für die Beschwerdeführerin zur Bewältigung ihrer Verschuldung bestellte Einzelfallhelfer mit an das Familiengericht gerichtetem Schreiben vom 9. Juli 2005 befürwortet hatte.
Zwar hat das Kammergericht in diesem Zusammenhang zum einen die Bestellung eines Familienhelfers auch vor dem Hintergrund der psychiatrischen Einschränkungen der Kindesmutter als nicht ausreichend bewertet, um die Kindeswohlgefährdung abzuwehren. Die Feststellungen der Gerichte machen insoweit indes nicht deutlich, dass die Vernachlässigung des Kindes nach Art und Umfang derart gravierend war, dass eine Fremdunterbringung auch verhältnismäßig war. Dies gilt umso mehr, als die Gerichte keine emotionale Unterversorgung des Kindes festgestellt haben; auch der Einzelfallhelfer hat hierzu in seinem Schreiben vom 9. Juli 2005 die Beschwerdeführerin als ihrem Sohn fürsorglich und zugewandt beschrieben. Gerade diesem Aspekt kommt aber vor dem Hintergrund des Persönlichkeitsrechts des Kindes - das in seiner Anhörung durch das Kammergericht bekundet hat, lieber wieder bei seiner von ihm vermissten Mutter wohnen zu wollen - erhebliches Gewicht zu. Die angegriffenen Entscheidungen, in denen eine Rückkehrperspektive für das Kind nicht angesprochen wird, gehen in diesem Zusammenhang auch nicht auf die Empfehlung der Sachverständigen ein, lediglich eine befristete Herausnahme anzuordnen. Aus der Begründung der Beschlüsse erhellt sich ferner nicht, ob die Gerichte auch die weitere positive Entwicklung der Beschwerdeführerin, der es der Sachverständigen zufolge unter Zuhilfenahme eines Einzelfallhelfers gelungen sei, sich nicht weiter zu verschulden, in ihre Abwägung eingestellt haben. Hierzu bestand aber auch deshalb Anlass, weil die angefochtenen Entscheidungen einer Begründung dafür ermangeln, weshalb es erforderlich war, der Beschwerdeführerin auch die Vermögenssorge zu entziehen.
Soweit das Familiengericht zum anderen - vom Kammergericht gebilligt – ausführt, die Beschwerdeführerin habe bereits in der Vergangenheit nachhaltig die Inanspruchnahme staatlicher Hilfen abgelehnt, und auch wenn sie heute erkläre, hierzu nunmehr bereit zu sein, könne eine tief greifende Veränderung ihrer Einsicht nicht beobachtet werden, lassen diese Ausführungen eine Auseinandersetzung damit vermissen, dass die Beschwerdeführerin erstmals mit einem familiengerichtlichen Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung konfrontiert ist. Wenn die Gerichte aufgrund der Persönlichkeit der Beschwerdeführerin und der Umstände des Einzelfalls davon ausgegangen sein sollten, dieser Umstand sei nicht geeignet, die Beschwerdeführerin zu beeindrucken und eher zur freiwilligen Mitwirkung zu bewegen als die bloße Intervention des Jugendamts, so hätte dies näherer Darlegung bedurft.
c) Die Entscheidung des Kammergerichts beruht auf den dargestellten Mängeln; es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht bei Beachtung der Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
2. Die auf § 95 Abs. 2 BVerfGG beruhende Zurückverweisung wird dem Kammergericht auch Gelegenheit geben, von Amts wegen die - allerdings bislang von der Beschwerdeführerin nicht aufgeworfene – Frage zu prüfen, ob es geboten ist, dem Kind nach § 50 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FGG einen Verfahrenspfleger zu bestellen, und ob das die Beschwerdeführerin betreffende, im April 2004 erstellte – von der Beschwerdeführerin jedoch nach Aktenlage erst mit ihrer Verfassungsbeschwerde angegriffene - Gutachten des sozialpsychiatrischen Dienstes noch als Grundlage dafür dienen kann, den Gesundheitszustand der Kindesmutter in seine Gesamtabwägung einzustellen.
III.
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Verfassungsbeschwerde beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
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