BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 442/23 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn (…),
gegen
a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main
vom 2. März 2023 - 7 Ws 10/23 -,
b) den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main
vom 2. Februar 2023 - 7 Ws 10/23 -
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Vizepräsidentin König
und die Richter Frank,
Wöckel
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 18. März 2025 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
G r ü n d e :
I.
1
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen zwei Beschlüsse des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main in einem Klageerzwingungsverfahren.
2
Der Beschwerdeführer hält Anteile an einer Aktiengesellschaft. Sämtliche Aktien in Deutschland ansässiger Anteilseigner befinden sich fest in Sammelverwahrung bei der deutschen Niederlassung der die Aktien emittierenden Bank. Anstelle der Aktien verfügt jeder Aktionär beziehungsweise für ihn seine depotführende Bank über Hinterlegungsscheine der emittierenden Bank (sog. American Depository Receipts).
3
Der Beschwerdeführer erstattete am 5. September 2022 Strafanzeige gegen einen unbekannten Mitarbeiter seiner depotführenden Bank. Im Zuge einer Dividendenausschüttung habe zuerst die emittierende Bank und danach nochmals seine depotführende Bank einen Kapitalertragsteuerabzug vorgenommen. Somit sei zu Unrecht ein doppelter Kapitalertragsteuerabzug erfolgt, wodurch sich der dafür verantwortliche Bankmitarbeiter unter anderem wegen Untreue strafbar gemacht habe.
4
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main lehnte die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit Bescheid vom 12. September 2022 ab, weil keine Vermögensbetreuungspflicht bestanden habe und die Vorgehensweise der depotführenden Bank den damals aktuellen Verwaltungsanweisungen der Finanzämter und der Anweisung der Aktiengesellschaft entsprochen habe, sodass kein vorsätzliches Handeln ersichtlich sei.
5
Die dagegen gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers wertete die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main als Dienstaufsichtsbeschwerde und gab ihr mit Schreiben vom 1. November und 5. Dezember 2022 aus den als zutreffend befundenen Gründen der Staatsanwaltschaft keine Folge. Dem Beschwerdeführer stehe kein Beschwerderecht nach § 172 Abs. 1 StPO zu, weil sich die Strafanzeige gegen Unbekannt richte.
6
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main verwarf mit Beschluss vom 2. Februar 2023 den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig. Der Antrag sei nicht statthaft, weil die Generalstaatsanwaltschaft keinen Beschwerdebescheid im Sinne des § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO erlassen, sondern ausdrücklich im Wege der Dienstaufsicht entschieden habe.
7
Die dagegen gerichtete Anhörungsrüge wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 2. März 2023 als unbegründet zurück.
8
Der Beschwerdeführer rügt mit seiner am 5. April 2023 erhobenen Verfassungsbeschwerde eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG durch die Beschlüsse des Oberlandesgerichts vom 2. Februar 2023 und 2. März 2023.
II.
9
Eine Annahme der Verfassungsbeschwerde, die keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), ist nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>; 108, 129 <136>). Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
10
1. Soweit sie sich gegen den die Anhörungsrüge zurückweisenden Beschluss des Oberlandesgerichts vom 2. März 2023 richtet, gilt dies deshalb, weil die Entscheidung über eine Anhörungsrüge grundsätzlich kein tauglicher Rügegegenstand der Verfassungsbeschwerde ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Juni 2007 - 2 BvR 746/07 -, Rn. 2 f.), sondern allenfalls dann, wenn sie eine eigenständige verfassungsrechtliche Beschwer bewirkt (vgl. BVerfGE 119, 292 <295>; BVerfGK 13, 496 <498>). Das kann anzunehmen sein, wenn die Rüge den Zugang zum Anhörungsrügeverfahren betrifft (vgl. BVerfGK 10, 397 <401>), ist hier aber nicht der Fall, nachdem das Oberlandesgericht über die Anhörungsrüge in der Sache entschieden hat.
11
2. Im Hinblick auf den angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts vom 2. Februar 2023 über die Verwerfung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den Substantiierungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG.
12
Nach diesen Vorschriften hat ein Beschwerdeführer nicht nur die Grundrechtsverletzung durch Bezeichnung des angeblich verletzten Rechts und den die Verletzung enthaltenden Vorgang substantiiert und schlüssig darzulegen (vgl. BVerfGE 9, 109 <115>), sondern er ist weiterhin gehalten vorzutragen, inwieweit das geltend gemachte Grundrecht durch die angegriffenen Maßnahmen verletzt ist (vgl. BVerfGE 99, 84 <87>).
13
Dafür genügen der schlichte Verweis des Beschwerdeführers auf eine seiner Meinung nach einschlägige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und die Bezugnahme auf die Begründung seiner Anhörungsrüge im fachgerichtlichen Verfahren nicht. Denn das Bundesverfassungsgericht hat nicht die Aufgabe, in Bezug genommene Dokumente und andere Anlagen auf verfassungsrechtlich relevante Tatsachen oder auf verfassungsrechtlich relevanten Vortrag hin zu durchsuchen (vgl. BVerfGE 80, 257 <263>; 83, 216 <228>; BVerfGK 19, 362 <363>).
14
3. Angesichts dessen kommt es nicht mehr darauf an, dass der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts vom 2. Februar 2023 erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unterliegt.
15
a) Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG darf der Zugang zu den Gerichten und den vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 40, 272 <274>; 78, 88 <99>; 88, 118 <124>). Dies muss auch das Gericht bei der Auslegung prozessualer Normen beachten. Es darf ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch eine überstrenge Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leer laufen lassen (vgl. BVerfGE 77, 275 <284>; 96, 27 <39>). Formerfordernisse dürfen nicht weiter gehen, als es durch ihren Zweck geboten ist, da von ihnen die Gewährung des Rechtsschutzes abhängt (vgl. BVerfGE 88, 118 <125>; BVerfGK 14, 211 <214>).
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Über die Eröffnung des Rechtswegs hinaus gewährleistet Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG auch eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 65, 1 <70>; 77, 275 <284>; 84, 34 <49>; 93, 1 <13>; 101, 106 <122>; 118, 168 <207>). Die Garantie effektiven Rechtsschutzes wirkt daher über das gerichtliche Verfahren hinaus auch in das behördliche Verfahren hinein, wenn eine solche Vorwirkung für die Inanspruchnahme effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes erforderlich ist (vgl. BVerfGE 100, 313 <364>; 101, 106 <123>; 109, 279 <364>; 118, 168 <207>; 128, 282 <311>). Ein solches vorgelagertes behördliches Verfahren darf daher nicht so betrieben werden, dass gerichtlicher Rechtsschutz vereitelt oder unzumutbar erschwert wird (vgl. BVerfGE 22, 49 <81 f.>; 61, 82 <110>; 69, 1 <49>).
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Diesen Maßstäben entspräche eine Handhabung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Klageerzwingungsverfahrens nicht, die dessen Zulässigkeit von einer gerichtlich nicht erzwingbaren spezifischen Sachbehandlung durch die Strafverfolgungsbehörden abhängig machen würde. Hinge die Zulässigkeit der weiteren Stufen des Verfahrens und insbesondere des Antrags auf gerichtliche Entscheidung einerseits davon ab, dass die Staatsanwaltschaft zuvor gegenüber dem Verletzten einen ausdrücklichen ablehnenden Bescheid erlassen hat, und wäre die Weigerung, diesen zu erlassen, andererseits jeder gerichtlichen Nachprüfung entzogen, hätte die Staatsanwaltschaft es in der Hand, die in § 172 Abs. 2 StPO gesetzlich vorgesehene gerichtliche Überprüfung ihrer Einstellungsentscheidungen dauerhaft zu vereiteln (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Mai 2017 - 2 BvR 1453/16 -, Rn. 10).
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b) Gemessen daran ist es verfassungsrechtlich mindestens bedenklich, dass das Oberlandesgericht die Zulässigkeit des Klageerzwingungsantrags davon abhängig gemacht hat, dass die Generalstaatsanwaltschaft über die Beschwerde nach § 172 Abs. 1 StPO durch förmlichen Bescheid entschieden und nicht lediglich eine Entscheidung im Rahmen der Dienstaufsicht getroffen hat, und sich in seinem Beschluss vom 2. März 2023 zugleich auf den Standpunkt gestellt hat, eine förmliche Bescheidung der Beschwerde könne der Beschwerdeführer – entgegen seinem hilfsweisen Vorbringen – nicht zulässiger Weise mit einem Untätigkeitsantrag nach § 23 EGGVG in Verbindung mit § 27 EGGVG herbeiführen. Soweit danach die Art und Weise der behördlichen Sachbehandlung vom Beschwerdeführer nicht erzwungen werden kann, darf die Weigerung der Generalstaatsanwaltschaft, die Beschwerde nach § 172 Abs. 1 StPO förmlich zu bescheiden, dem Zugang zum Klageerzwingungsverfahren nicht entgegenstehen. Andernfalls läge es in der Hand der Generalstaatsanwaltschaft, ob die eigene Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann oder nicht.
19
4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
20
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
- König
- Frank
- Wöckel