Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Erfolglose Verfassungsbeschwerde im Zusammenhang mit der Erbfolge in einem Fürstenhaus

Pressemitteilung Nr. 24/2000 vom 3. März 2000

Beschluss vom 21. Februar 2000
1 BvR 1937/97

Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde (Vb) eines Mitglieds einer süddeutschen Fürstenfamilie nicht zur Entscheidung angenommen. Die Vb richtete sich gegen gerichtliche Entscheidungen in einem Erbscheinsverfahren. Der Beschwerdeführer (Bf) wandte sich dagegen, dass eine zum Verlust seines Erbrechts führende erbvertragliche Heiratsklausel von den Fachgerichten als wirksam angesehen worden ist.

I.

Das Erbscheinsverfahren betraf die Erbfolge nach dem 1939 verstorbenen 5. Fürsten zu L., dem Urgroßvater des Bf. Der 5. Fürst hatte in einem Erbvertrag aus dem Jahre 1925 im Wege der Vor- und Nacherbschaft seinen ältesten Sohn, den 6. Fürsten, und in den nachfolgenden Generationen die weiteren erstgeborenen männlichen Abkömmlinge zu Erben des - umfangreiche Ländereien umfassenden - Stammgutes des Hauses eingesetzt. In den Erbvertrag einbezogen waren die Bestimmungen eines so genannten Hausgesetzes, das der 4. Fürst im Jahre 1897 erlassen hatte. Hierin ist geregelt, dass sich die Familienmitglieder nur mit Zustimmung des jeweiligen Fürsten vermählen können und die Eingehung einer Ehe ohne eine solche Zustimmung den Verlust des Erbrechts zur Folge hat. Der Bf, der älteste Sohn des 7. Fürsten, heiratete ohne Zustimmung seines Vaters im Mai 1991 Frau Dr. T. Der 7. Fürst verstarb im Oktober 1991, womit der letzte von dem Erbvertrag aus dem Jahre 1925 erfasste Nacherbfall eingetreten war. Der Antrag des Bf, ihm einen Erbschein als Alleinerben des 5. Fürsten zu erteilen, hatte keinen Erfolg. Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) kam in seiner letztinstanzlichen Entscheidung zu dem Ergebnis, nicht der Bf, sondern dessen jüngerer Bruder sei Erbe des Hausvermögens geworden. Der Bf habe seine Erbenstellung durch die Eheschließung mit Frau Dr. T. verloren. Die in dem maßgeblichen Erbvertrag enthaltene Heiratsklausel sei wirksam, es liege weder ein Verstoß gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) noch gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) vor. Hiergegen erhob der Bf Vb und rügte die Verletzung verschiedener Grundrechte.

II.

Die angegriffenen Entscheidungen halten einer verfassungsrechtlichen Überprüfung stand.

1. Ausgangspunkt ist die Testierfreiheit des Erblassers als bestimmendes Element der von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Erbrechtsgarantie. Dem Erblasser ist die Möglichkeit eingeräumt, die Erbfolge selbst durch Verfügung von Todes wegen weitgehend nach seinen persönlichen Wünschen und Vorstellungen zu regeln, ohne sich hierbei an den allgemeinen gesellschaftlichen Überzeugungen oder den Anschauungen der Mehrheit ausrichten zu müssen.

Der durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Testierfreiheit des Erblassers steht das Grundrecht des Bf aus Art. 6 Abs. 1 GG gegenüber. Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet die Freiheit, die Ehe mit einem selbst gewählten Partner einzugehen (Eheschließungsfreiheit). Die vorliegende Heiratsklausel ist geeignet, die Eheschließungsfreiheit des als Nacherben eingesetzten Abkömmlings des Erblassers mittelbar zu beeinflussen. Dadurch, dass an die Eingehung einer nicht konsentierten Ehe der vollständige Ausschluss von der Erbfolge geknüpft wird, sieht der Abkömmling sich dem erheblichen Druck ausgesetzt, eine solche Ehe nicht zu schließen.

Nach der einschlägigen Heiratsklausel ist der Verlust der Nacherbenstellung allerdings nicht an die Eheschließung mit einer nicht "ebenbürtigen" Partnerin oder sonstwie an Kriterien ständisch-sozialer Herkunft geknüpft. Die maßgebliche Beeinträchtigung der Eheschließungsfreiheit realisiert sich erst in der konkreten Verweigerung der Zustimmung durch das Familienoberhaupt zu einer bestimmten Ehe.

Mit der Frage, ob die Entscheidung des 7. Fürsten, der Eheschließung des Bf mit Frau Dr. T. nicht zuzustimmen, die von der Wertordnung des Grundgesetzes im Rahmen der §§ 138, 242 BGB gezogenen Grenzen überschreitet, hat sich das BayObLG eingehend auseinandergesetzt. In diesem Rahmen hat es zu Recht berücksichtigt, dass eine Entscheidung des 7. Fürsten im Sinne der Familientradition der Verwirklichung des in dem Erbvertrag niedergelegten Willens des Erblassers diente und damit Ausfluss der von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Testierfreiheit ist. Es hat die Auswirkungen der Entscheidung auf die unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG stehende Eheschließungsfreiheit des Bf und die sich daraus ergebende mögliche Begrenzung der Testierfreiheit nicht verkannt, sondern die kollidierenden Grundrechtspositionen im Wege einer umfassenden Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalls gegeneinander abgewogen. Entscheidende Bedeutung hat das BayObLG dabei dem Umstand beigemessen, dass dem Bf die Stellung als Nacherbe trotz der Eheschließung mit Frau Dr. T. erhalten geblieben wäre, wenn er mit bestimmten, ihm von dem 7. Fürsten gestellten Bedingungen, die ausschließlich auf den Zusammenhalt des Familienvermögens und nicht etwa auf die Herkunft der Ehefrau bezogen waren, einverstanden gewesen wäre. Das von dem BayObLG vor diesem Hintergrund gefundene Ergebnis, der 7. Fürst habe bei der Ausübung seiner Befugnis weder gegen Treu und Glauben noch gegen die guten Sitten verstoßen, lässt eine grundsätzlich unrichtige Auffassung von der Bedeutung der Grundrechte nicht erkennen.

2. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen auch nicht das Grundrecht des Bf aus Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentums- und Erbrechtsgarantie). Auf die Erbrechtsgarantie kann sich der Bf nicht berufen. Dem Recht des Erblassers zu vererben entspricht zwar das Recht des Erben, kraft Erbfolge zu erwerben, so dass auch der begünstigte Erbe, jedenfalls vom Eintritt des Erbfalls an, den Schutz des Grundrechts genießt. Dadurch, dass die Fachgerichte im vorliegenden Fall die streitgegenständliche Heiratsklausel als wirksam angesehen haben, haben sie jedoch nicht in eine bereits vorhandene erbrechtliche Position des Bf eingegriffen. Denn seine durch den Erbvertrag erfolgte Erbeinsetzung stand nach dem Inhalt des Vertrages von Anfang an unter einer auflösenden Bedingung, die sich vor Eintritt des Nacherbfalls verwirklicht hat.

Dem Bf wurde auch keine von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsposition entzogen. Seine Aussicht, Nacherbe des 5. Fürsten zu werden, stellte keine unentziehbare Rechtsposition dar. Eine Anwartschaft darauf, Erbe zu werden, ohne die in dem Erbvertrag vorgesehenen Voraussetzungen zu erfüllen, hatte der Bf zu keinem Zeitpunkt.

Karlsruhe, den 3. März 2000