Bundesverfassungsgericht

Sie sind hier:

Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zum Verbot der Anwendung von Humanhomöopathika durch Tierheilpraktiker erfolglos

Pressemitteilung Nr. 6/2022 vom 28. Januar 2022

Beschluss vom 24. Januar 2022
1 BvR 2380/21, 1 BvR 2449/21

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, mit dem sich die Beschwerdeführerinnen als praktizierende Tierheilpraktikerinnen gegen § 50 Abs. 2 Tierarzneimittelgesetz (TAMG) wenden, der heute in Kraft tritt.

Anders als nach bisheriger Rechtslage ist es Tierheilpraktikerinnen und Tierheilpraktikern sowie Tierhalterinnen und Tierhaltern nach § 50 Abs. 2 TAMG nun untersagt, insbesondere nicht-verschreibungspflichtige und zugleich registrierte Humanhomöopathika bei Tieren anzuwenden. Die Beschwerdeführerinnen, die hauptberuflich als Tierheilpraktikerinnen arbeiten, rügen in erster Linie eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die Verfassungsbeschwerden sind zwar weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Wird im Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt, gelten dafür jedoch besonders hohe Hürden. Solche für eine Aussetzung sprechenden Gründe von ganz besonderem Gewicht haben die Beschwerdeführerinnen nicht substantiiert dargelegt.

Sachverhalt:

Nach bisheriger und bis zum Ablauf des 27. Januar 2022 geltender Rechtslage ist auch Personen, die nicht Tierärztinnen oder Tierärzte sind, die Anwendung nicht-verschreibungspflichtiger Humanarzneimittel bei Tieren, die nicht der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, gestattet. Tierheilpraktikerinnen und Tierheilpraktiker konnten daher bislang auch bei Haustieren Humanhomöopathika anwenden, da diese zu den nicht-verschreibungspflichtigen Humanarzneimitteln zählen.

Ab dem 28. Januar 2022 gilt in der Europäischen Union für Tierarzneimittel die Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über Tierarzneimittel und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/82/EG. Dies veranlasste den deutschen Gesetzgeber, ein Tierarzneimittelgesetz als eigenständiges Stammgesetz zu verabschieden und im Arzneimittelgesetz die bisher dort auf Tierarzneimittel bezogenen Regelungen zum 28. Januar 2022 aufzuheben. Zu den Regelungen des neuen Tierarzneimittelgesetzes gehört der angegriffene § 50 Abs. 2 TAMG. Danach dürfen Tierhalterinnen und Tierhalter sowie andere Personen, die nicht Tierärztinnen oder Tierärzte sind, Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes bei Tieren nur anwenden, soweit diese von der behandelnden Tierärztin oder dem behandelnden Tierarzt verschrieben oder abgegeben worden sind und die Anwendung gemäß der tierärztlichen Behandlungsanweisung erfolgt. Humanhomöopathika sind Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes und können daher künftig insbesondere nicht mehr von Tierheilpraktikerinnen und Tierheilpraktikern im Rahmen ihrer Therapiemaßnahmen eingesetzt werden.

Die Beschwerdeführerinnen tragen vor, dass sie seit vielen Jahren hauptberuflich als Tierheilpraktikerinnen arbeiten und vor allem Hunde, Katzen und Pferde, zum Teil auch Kleintiere behandeln. Mit den Einnahmen aus ihrer Praxistätigkeit bestritten sie jedenfalls einen Großteil ihres Lebensunterhalts. Sie arbeiteten therapeutisch ausschließlich oder nahezu ausschließlich klassisch homöopathisch unter Anwendung hochpotenzierter registrierter Humanhomöopathika. Die Beschwerdeführerinnen zu I. rügen eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit, die Beschwerdeführerin zu II. zusätzlich eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und – als Tierhalterin – eine Verletzung ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben keinen Erfolg.

I. Die Verfassungsbeschwerden sind zwar weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die von den Beschwerdeführerinnen ausgeübte Tätigkeit als Tierheilpraktikerinnen unterfällt insbesondere dem Schutzbereich der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG. In Art. 12 Abs. 1 GG darf nur auf gesetzlicher Grundlage und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingegriffen werden. Der Eingriff muss einem legitimen Zweck dienen und geeignet sowie erforderlich sein, diesen Zweck zu erreichen; ferner darf er die Grundrechtsträger nicht in unzumutbarer Weise belasten. Ob § 50 Abs. 2 TAMG diesen Anforderungen entspricht, bedarf der Überprüfung im Verfassungsbeschwerdeverfahren.

II. Allerdings haben die Beschwerdeführerinnen keine für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe von ganz besonderem Gewicht substantiiert dargelegt.

1. Wird die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt, gelten dafür besonders hohe Hürden, weil dies einen erheblichen Eingriff in die originäre Zuständigkeit des Gesetzgebers darstellt. Müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe schon im Regelfall so schwer wiegen, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabdingbar machen, so müssen sie, wenn beantragt ist, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, darüber hinaus ganz besonderes Gewicht haben. Insoweit ist von entscheidender Bedeutung, ob die Nachteile irreversibel oder auch nur sehr erschwert revidierbar sind oder ob sie in der Zeit zwischen dem In-Kraft-Treten eines Gesetzes und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache sehr schwer wiegen.

2. Die von den Beschwerdeführerinnen als Tierheilpraktikerinnen vorgetragenen Nachteile sind zwar gewichtig, genügen gemessen an diesen strengen Voraussetzungen für sich genommen jedoch nicht, um die Dringlichkeit einer Eilentscheidung gegen ein Gesetz zu begründen.

Die Beschwerdeführerinnen legen nicht hinreichend dar, dass ihre in der begrenzten Zeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache möglicherweise eintretenden beruflichen Nachteile irreversibel oder auch nur sehr erschwert revidierbar sind oder sonst sehr schwer wiegen. Alle Beschwerdeführerinnen üben neben der Behandlung von Tieren mit Humanhomöopathika weitere Tätigkeiten aus, die sie auch bei Geltung der angegriffenen Regelung bis zur Entscheidung in der Hauptsache fortführen können. Sie müssen daher die bisher ihre Lebensgrundlage bildende Tätigkeit bis zu einer Hauptsacheentscheidung nicht vollständig aufgeben und sind innerhalb dieses Zeitraums auch nicht zum Aufbau einer neuen, auf anderen beruflichen Voraussetzungen beruhenden Existenz gezwungen. Wirtschaftliche Nachteile, die Einzelnen durch den Vollzug eines Gesetzes entstehen, sind daneben grundsätzlich nicht geeignet, die Aussetzung der Anwendung von Normen zu begründen.